Weltfriede, Kaffee und Kuchen

Kein Medium für Niedlichkeiten oder Enten: Im Verlag für intelligente Unterhaltung, Jochen Enterprises, ist die neunte Ausgabe des O-Berliner-Hard-Core-Underground-Fanzines „Renate“ erschienen  ■ Von Susanne Messmer

Das Männchen sitzt in seinem leeren Zimmer. Ihm wachsen eine Reihe Haare und Ohren wie Henkel aus dem halbierten Kopf. Weil es traurig ist, beschließt es, sich im Spätkauf etwas Hübsches zu kaufen. Der dicke Verkäufer mit acht Hängebacken verkauft ihm ein Blechspielzeug, einen Bongo Biker Bunny. Als Bezahlung zieht er ihm ein Stück von seinem Haar heraus und schneidet es sich ab. Während es sich zu Hause daran beglückt, sein Spielzeug aufzuziehen und rennen und trommeln zu lassen, geht der Verkäufer im Laden aufs Klo und benutzt die Haare als Klopapier. Als sich das Männchen wundert, warum es plötzlich Exkremente auf dem Kopf hat, betätigt der Verkäufer die Klospülung.

Das ist die Welt der Renate, einer Comiczeitschrift, die sich vor neun Jahren in Ost-Berlin gegründet hat und jetzt zum neuntenmal erschienen ist. 1989 nannte man sich das O-Berliner-Hard-Core- Underground-Fanzine und wollte „Erstdrucke verschiedenster zeichenbegieriger, erzählwütiger und darstellungslüsterner Autoren veröffentlichen“.

Vor allem aber wollten sich über die Zeitschrift Zeichner treffen, um zu diskutieren und auszuprobieren und herauszufinden, wie man sich von Micky, Asterix und Werner, den einzigen Comicgestalten aus dem Westen, die in der DDR richtig bekannt geworden sind, abgrenzt. „Es hat drei, vier Renaten gedauert, bis wir was rausgekriegt haben“, sagt heute der kauzige Auge Lorenz, der fast von Anfang an dabeigewesen ist. In der DDR waren Comics für Kinder wie „Atomino“ vor allem von didaktischem Wert, anspruchsvollere, wie die der inzwischen bekannt gewordenen Anke Feuchtenberger, nur als Kunst getarnt in Theaterprogrammen möglich.

So ist leicht zu erklären, warum eine Ausstellung über Comics in Frankreich im Sommer 1988 in Ost-Berlin mit Arbeiten von Moebius, Loustal und vielen anderen wie eine Bombe einschlug. Daß die Zeichner rund um Renate seitdem nichts mit Knollennasen und Enten am Hut haben würden, läutet schon in der ersten Ausgabe ein Comic von Georg Barber ein, in dem sich am Schluß eine niedliche Maus den Strick gibt. „Vor allem über Spiegelman haben wir viel geredet“, erinnert sich Lorenz. So langsam fiel bei ihnen der Groschen, daß ihr Medium nicht nur Niedlichkeiten, sondern auch Inhalte der sogenannten Hochkultur transportieren kann. Nachdem sich aus den regelmäßigen Treffs der „Renatisten“ mehrere Hefte und Ausstellungen entwickelt hatten, bekamen die Zeichner zwei ABM-Stellen und Sachmittel, mit denen sie vor allem den Aufbau der noch immer existierenden und „weltallerbesten“ Comic-Bibliothek finanzierten. Inzwischen haben sich bei Renate zwei Arbeitsgruppen gebildet. Die eine kümmert sich nach wie vor um die Bibliothek, die sich inzwischen selbst finanziert. Jedes Jahr wird eine große Schlagerparty veranstaltet, mit deren Erlös die Miete in der Tucholskystraße bezahlt werden kann. Von Mitgliederbeiträgen und Strafgebühren werden neue Comics gekauft. In der anderen Arbeitsgruppe, wo vor allem Christian Huth, Auge Lorenz und Bärnd Schmucker aktiv sind, wird nur noch gezeichnet und an der Zeitschrift gebastelt.

Inzwischen bekannt gewordene Zeichner wie Atak mit seinen ornamentalen Schnörkel- und Rüsselfiguren oder Fickelscherer mit seinen klaren, holzschnittartigen Grafiken fehlen heute in der Renate ganz. „Denen ist die Renate nicht ernst genug. Die haben irgendwann beschlossen, sich nur noch um sich selbst zu kümmern, und boxen jetzt in einer anderen Gewichtsklasse“, so Auge Lorenz. Daß viele „junge Talente die Renate als Durchlauferhitzer benutzen“, bringt hier keinen auf die Palme. „Soll'n se doch machen, was se woll'n“, sagt Schmucker. „Hauptsache, wir haben Völkerfreundschaft und Weltfrieden, Kaffee und Kuchen von Schleswig bis zum Erzgebirge.“ Und immerhin halten die herrlich haarsträubende Lilian Mousli mit ihren Schaudergeschichten vom häßlichen Mädchen Klaus und die Zeichnerin Julie Doucet der Renate die Stange.

Solange sich hier jeder in Ruhe seiner eigenen kleinen Welt widmen kann, wird bei Renate alles gut bleiben: Huth wird weiterhin seine rätselhaften Krakelfiguren mit Trichterköpfen und Hasenhäschen pflegen, deren Köpfe an umgedrehte Jeanshosen erinnern. Lorenz wird an seinen Geschichten vom molchartigen Büroangestellten weiterbasteln, der morgens aufsteht, zur Arbeit geht, abends nach Hause geht, um morgens wieder aufzustehen und arbeiten zu gehen. Zu dieser produktiven Unaufgeregtheit, die den Ton der Renate bestimmt, kommt seit neuestem, daß die Redaktion, „deren Faulheit selbst einen mexikanischen Kommunisten aus der Ruhe bringt“, nun endlich einen Verlag gefunden hat. Jochen Enterprises wird von nun an lästige Rechnungen aus der Druckerei begleichen und schier unlösbare Aufgaben wie Werbung oder Vertrieb übernehmen. Einer strahlenden Zukunft der Renate steht also nichts mehr im Weg.

„Renate“ ist zu beziehen bei Jochen Enterprises, Möckernstr. 78, 10965 Berlin