■ Der deutsche Staat ehrte den Wehrmacht-Apologeten Erich Mende: Die Legende von der sauberen Armee
Mit einem Staatsakt haben Bundesregierung und Bundestag des im Alter von 81 Jahren verstorbenen FDP- und späteren CDU-Politikers Erich Mende gedacht. Dabei wurde der Ex-Vizekanzler als „aufrechter Demokrat“ bezeichnet – ein ganz besonderer Fall biographischer Umdeutung in der an solchen posthumen Korrekturen wahrlich nicht armen Geschichte bundesdeutschen Kondolenzgebarens. Aber widerspruchslos wird das nicht hingenommen.
Fiel doch kein Wort, keine Silbe in den Bonner Trauerreden darüber, daß es (außer vielleicht seinem Pendant von der Stahlhelmfraktion, Alfred Dregger), keinen glühenderen Apologeten der Wehrmacht gab als Erich Mende. Er, der ehemalige Offizier im Majorsrang unter Hitler war es, der Anfang der 50er Jahre auf Galaempfängen der jungen Bundesrepublik als erster Politiker demonstrativ mit dem ihm noch 1945 verliehenen Ritterkreuz auftrat. Aus dem war zwar das Hakenkreuz entfernt, doch wollte Erich Mende sich damit nicht begnügen – er wollte es auch noch, ein ganzes Leben lang, aus der Geschichte der Wehrmacht herauskratzen.
Wie kein anderer unter den Politikern der „ersten Stunde“ war Erich Mende bemüht, die Wehrmacht zu enthistorisieren und zu entnazifizieren. Immer wieder hat er sie von der damals einzigen Schubkraft und bestimmenden Lenkungsgewalt, der verbrecherischen NS-Reichsführung, zu entkoppeln versucht, immer wieder so getan, als habe sie in einem historischen Vakuum gekämpft, quasi „wertfrei“ (so das Codewort der Entsorger). Bis zuletzt hat Mende sich beharrlich der Erkenntnis verweigert, daß es die Wehrmacht war, die Hitlers kriminelles System mit Waffengewalt bis nach Stalingrad, Narvik, die Sahara und den Atlantik katapultierte, und daß der Radius des Vernichtungsapparates immer identisch war mit dem der deutschen Fronten. Er, der sich nie, keine Sekunde, um die Verbrechen der Wehrmacht gekümmert hatte, war gleichzeitig einer ihrer hartnäckigsten Leugner, Vorreiter der Legende vom „sauberen Waffenrock“ und ohne jede innere Beziehung zur Welt der Opfer, die der deutsche Angriffskrieg auf Europa und die Menschheit gefordert hat.
Ich habe Erich Mende einmal, bei der einzigen persönlichen Begegnung, entgegengehalten, daß es Adolf Hitler nicht zweimal gab – einmal als Bauherrn von Auschwitz und einmal als Oberbefehlshaber der Wehrmacht. Worauf sich auf dem sonst eher steinernen Gesicht so etwas wie Verblüffung abzeichnete – auf diese Personalunion wäre ein Erich Mende von sich aus nie gekommen. Das Treffen fand in einer Diskussionsrunde des ZDF zum Goldhagen-Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ statt. Eines seiner unsäglichen Argumente lautete: „Wir waren als Soldaten so mit dem Überlebenskampf beschäftigt, daß wir uns um anderes nicht kümmern konnten. Schließlich ging es um das Vaterland.“ Offenbar war dem Berufsoffizier Mende bis dahin entgangen, daß sich in diesem Vaterland seit 1933 ein Gewalt- und Mordregime installiert hatte, mit KZs, öffentlichen Bücherverbrennungen, Annexionen fremden Territoriums und erst der Entrechtung, dann der Deportation der Juden, soweit die deutschen Siege führten.
Dennoch hat Erich Mende immer wieder öffentlich das Hohelied der Wehrmacht gesungen, und so klingt sie denn höchst treffend, die Reaktion, die er damit nach einer solchen Suada einmal provoziert haben soll: „Ach so, Herr Mende, so war das gewesen: Da überschritten die deutschen Heere also auf Befehl Adolf Hitlers mit Waffengewalt die Grenzen des Großdeutschen Reiches und brachten den anderen Völkern – die Demokratie...“
Wehrmacht und Krieg – das sind die letzten „Heiligen Kühe“ deutscher Verdrängungskünste, und Erich Mende war ihr Hüter. Wie das in Einklang gebracht werden kann mit dem Prädikat „aufrechter Demokrat“, bleibt das Geheimnis derer, die es an ihn vergeben haben. Die Trauerfeier des Bundestages sah übrigens einen gähnend leeren Plenarsaal. Ich wünschte, die Gründe dafür deckten sich mit denen dieser Protestschrift. Ralph Giordano
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen