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Erstarrte Bilder, ein verzögerter Kniefall

■ Eine präzise inszenierte „Maria Stuart“ im Bremerhavener Stadttheater

In Bremerhavens Stadttheater ist ein kleines Wunder geschehen: Während eine Königin langsam ihre Fassung verliert, gewinnt ein ganzes Ensemble sie zurück. Der neue Oberspielleiter Wolfgang Hofmann inszeniert Friedrich Schillers „Maria Stuart“ als glänzende Charakterstudie einer Frau, die sich auf der Siegerstraße weiß und dabei alles und alle verliert.

Eine Frau steht allein auf der Bühne. Auf der spiegelglatten Fläche kann sie nur noch sich selber sehen. Die Höflinge und Schmeichler haben sie verlassen. Sie hält sich mühsam aufrecht, aber ihr Körper wirkt wie weggerutscht. Sie weiß, daß sie nach dem Tod der Rivalin weiterleben wird, als wäre sie nicht mehr am Leben. Blutleer, nur noch Königin.

Isabella Wolf spielt diese zerbrechende Frau mit allen Nuancen überragend präzise. Die schnippische Lady, die mit ihrer Macht und den Männern kokettiert. Die großen Sätze, die ihr Schiller in den Mund legt (“So steh' ich kämpfend gegen eine Welt, ein wehrloses Weib“) fallen beiläufig. Bis sie am Schluß im Bewußtsein ihrer Niederlage den einzig wahren Satz herausschreit: „Ich bin die Königin von England!“

Eine schwarze Geschichte, in der die Titelfigur Maria Stuart (Anna Magdalena Fitzi) fast nur eine Nebenrolle spielt: Die einstige schottische Königin, Elisabeths Gefangene, deren Haft von Doris Kroll (Bühne und Kostüme) unaufdringlich mit einer leuchtend lila-gedeutet wird.

Der Regisseur spielt mit den Figuren wie ein Ballettmeister. Wenn Elisabeth mit ihren Ratgebern spricht, dann können die Sprechenden weit voneinander entfernt stehen, und alle Annäherungen müssen auf der großen Bühne genau ausgeschritten werden. Hofmann zeigt eine Geschichte, in der jede Bewegung auf Täuschung und Selbsttäuschung beruhen. Ein Höhepunkt ist Marias Kniefall.

Elisabeth rennt mit großem Gefolge zu repräsentativen Renaissance-Klängen mehrfach an der schwesterlichen Feindin vorbei, bis sie endlich stehenbleibt und darauf wartet, daß Maria nicht nur die Knie beugt, sondern sich ganz zu Boden wirft. Das sind überraschende Momente, in denen Hofmann die Bilder anhalten läßt, in denen alle schweigen oder nur „Hoppla“ sagen oder (die Männer) hinterhältig lachen – doch hier lacht niemand am längsten.

Und auch schöne Einzelheiten sind zu sehen: Vera Pototschnig als Marias mütterliche Amme, Kay Krause als aalglatter Großschatzmeister.

Wolfgang Hofmann hat keinen weiteren Nagel in den Sarg des Klassikers geschlagen. Im Gegenteil. Er präsentiert einen gewaltigen Stoff mit einem so erstaunlich geschlossenen Ensemble, als wäre Otto Rehagel nach Bremerhaven gekomen, um die Mannschaft wieder aufzubauen und ihr ein neues Selbstvertrauen zu geben.

Hans Happel

Die nächsten Aufführungen sind am 20. und 29. Mai sowie am 5, 7. 15. 17. Juni

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