"Danach kann man sterben"

■ Großmeister Philipp Schlosser über seine Karpow-Schachakademie, das erste deutsche "Fitneßstudio fürs Gehirn", das am Samstag eröffnet wird und eine "neue Schachkultur" begründen soll

taz: Herr Schlosser, die renovierten Räume hier in der Akademie haben sich gemausert. Schöne maßangefertigte Demonstrationsbretter, mehrere Computer...

Philipp Schlosser: Im Prinzip sind wir startbereit, auch wenn noch nicht alles perfekt ist. Ich sehe nun das Planschbecken, mir fehlt allerdings noch das Wasser. Unsere Bibliothek war zum Beispiel zu klein. Dann kam uns der Zufall zu Hilfe: Der Präsident meines Heimatvereins SK Wasserburg vermachte der Schachakademie seine gesamte Bibliothek mit rund 2.000 Büchern!

Welche Erwartungen haben Sie?

Ich möchte eine neue Schachkultur in Deutschland begründen. In den Niederlanden ist man da schon viel weiter. Bei Turnieren gehen die Leute mehr mit, weil Großmeister als Lehrer und Kommentatoren das Geschehen vor Ort und in den Medien besser vermitteln.

In den Schachzeitungen werden jetzt erste Anzeigen für die Akademie geschaltet. Wie ist die Resonanz auf das neue Angebot, das zwischen 50 und 100 Mark im Monat kostet? Und vor allem: Wieviele „Gehirnjogger“ benötigt die Akademie, um sich zu tragen?

Erste Rückmeldungen trafen bereits ein. Auf Dauer sollten wir neben den 15 Stipendien, die unser Sponsor verteilt, mindestens 30 Dauerabonnenten haben. Daneben bieten wir überdies an Wochenenden Trainingsseminare an.

Muß man eine bestimmte Spielstärke mitbringen, um Nutzen aus einem Abo zu ziehen?

Nein, das ist wie in einem normalen Fitneßstudie auch: Viele fangen klein an und steigern ihre Leistungen.

Fällt es einem Großmeister nicht schwer, sich für die Arbeit mit einem Anfänger zu motivieren?

Aus meiner zwölfjährigen Praxis als Trainer weiß ich: Wenn ein starker Spieler kein Interesse hat, macht es keinen Spaß. Wenn ich jedoch den Eindruck habe – der Schüler kann dabei so schwach sein, wie er will –, daß er mit Feuereifer dabei ist und Kommunikation stattfindet, dann bereitet auch mir die Lehrtätigkeit Freude. Mir fällt dazu eine Weisheit von Albert Schweizer ein: „Ich bin Leben, das leben will inmitten von Leben, das leben will.“ Mir schwebt als Idealbild vor, diesen Satz auf das Schach zu übertragen.

Obwohl Sie davon leben, bezeichnen Sie Schach als eine „absurde Sache“. Warum?

Jeder Schachspieler möchte im Wettkampf perfekt spielen – aber es ist schier unmöglich, obwohl Schach auch eine endliche Sache ist. Damit tut sich ein Widerspruch zwischen dem auf, was man trotz größter Anstrengung erreichen kann, und dem, was tatsächlich möglich wäre. Gemäß dem Philosophen Albert Camus gleichen somit Schachspieler dem griechischen „Mythos von Sisyphos“ (Das gleichnamige Buch von Camus trägt den Untertitel „Ein Versuch über das Absurde“, Anm. d. Autors), der stets vergeblich versucht, den Stein hinaufzurollen. Mir gefiel in einem Essay die Aussage Camus', daß man sich den Mann nun als glücklichen Menschen vorstellen solle.

Hatte der Großmeister Schlosser wenigstens einmal nach einer Partie das Gefühl, den Stein ganz auf den Berg gerollt zu haben?

Den Eindruck hat man öfter. Mein Großmeister-Kollege Klaus Bischoff sagte einmal treffend: Das Gefühl nach einer tollen Partie sei unvergleichlich. Danach könne man getrost sterben. Interview: Hartmut Metz