: Lust aufs soziale Abenteuer
Das Hamburger Freiwilligen-Zentrum vermittelt und berät Menschen, die sich engagieren wollen. Totale Selbstlosigkeit wird nicht gefordert ■ Von Christine Holch
Die junge Frau, berufstätig und alleinstehend, hat ihr Leben im Griff. Nur die Sonntagnachmittage sind sehr leer. Könnte sie dann nicht vielleicht im Kinderkrankenhaus vorlesen? Auf solche Angebote sind die Wohlfahrtsorganisationen schlecht vorbereitet. Ihnen standen bislang hochflexible Ehrenamtliche zur Verfügung, die da einsprangen, wo Aufgaben anfielen – ältere Frauen vor allem, deren Kinder aus dem Haus sind. Doch heutige Helfer sind anders: Sie sind nicht mehr bereit, sich den oft verkrusteten Strukturen einer Wohlfahrtsorganisation zu unterwerfen, sie wollen mitbestimmen, und sie wollen auch Spaß haben.
Nur rund 17 Prozent der Deutschen engagieren sich ehrenamtlich. Dabei ist die Bereitschaft dazu viel größer: Nach einer Umfrage der Caritas von 1995 können sich 38 Prozent vorstellen, bei einer Hilfsorganisation ehrenamtlich zu arbeiten. Viele möchten also etwas „Sinnvolles tun“, aber nicht unter jeder Bedingung und auch nicht unbedingt auf lange Zeit.
„Da müssen manche Wohlfahrts-verbände radikal umdenken“, sagt Gabriele Glandorf-Strotmann. Sie ist Leiterin des Freiwilligen-Zentrums in Hamburg, das vor knapp einem Jahr von der Caritas gegründet wurde. Seither können sich potentielle Freiwillige hier beraten und an eine von derzeit 38 Initiativen und Organisationen vermitteln lassen. „Wohlfahrtsverbände haben doch nie gefragt: Was möchtest du?“ weiß Glandorf-Strotmann. „Die haben die Ehrenamtlichen nur als Menschenmaterial angesehen.“
Wer dagegen in das freundliche Büro des Freiwilligen-Zentrums in St. Georg kommt, wird anders behandelt. Hier ist es kein Tabu, daß Freiwillige sich nicht nur aus Selbstlosigkeit engagieren, sondern damit auch was für sich tun wollen. Da kommen „fitte 60jährige“, denen der Spaziergang mit dem Hund zuwenig ist, oder junge Leute, die sich von dem Motto des Zentrums – „Suchen Sie soziales Abenteuer?“ – angezogen fühlen. Rund 100 Freiwillige ließen sich im ersten Jahr beraten. Mehr als die Hälfte davon hatte noch nie ehrenamtlich gearbeitet.
Im Beratungsgespräch findet der potentielle Freiwillige heraus, welche Tätigkeit im sozialen, ökologischen oder kulturellen Bereich „biographisch zu ihm paßt“. Häufig kommen Menschen, die in Umbruchsituationen stecken und einen neuen Sinn oder wenigstens neue Kontakte suchen: Geschiedene, frisch Verrentete, Arbeitslose oder Neu-Hamburger.
Ziel der Beratung ist eine realistische Selbsteinschätzung. Da wird auch mal gefragt: „Halten Sie stinkende Menschen aus?“ Keiner kann schließlich alles. Mancher aber sucht die Herausforderung. Wie der ältere Mann, ein begeisterter Modellbauer, der klassische Sozialarbeit machen wollte, damit aber überfordert war. Heute baut er zusammen mit Jungs in einer Billstedter Schule Schiffe und Flugzeuge. Und alle sind zufrieden. Andere bescheiden sich bewußt: Sie teilen Essen an Obdachlose aus, gehen mit älteren Menschen spazieren, lesen im Blindenheim vor oder tragen für den BUND Kröten über die Straße.
Viel schwieriger ist zum Beispiel die Arbeit mit dementen Alten. Aber wer über das Freiwilligen-Zentrum vermittelt wird, ist hinterher nicht alleine. Die Mitarbeiter begleiten zum Erstgespräch, stellen sicher, daß es einen Ansprechpartner für die Freiwilligen gibt, daß sie sich einarbeiten können, möglichst auch fortbilden. Schließlich setzen sich Freiwillige fremden Situationen aus, die viele Fragen aufwerfen.
Auch diese Betreuung gehört zur neuen „Anerkennungskultur“. „Ein Dankeschön und eine Weihnachtsfeier genügen nicht mehr“, sagt die Leiterin des Zentrums. Einige Organisationen arbeiteten da schon sehr professionell, etwa die AIDS-Hilfe. Auch das Deutsche Rote Kreuz schuf jüngst endlich eine Stelle zur Betreuung der Ehrenamtlichen.
Für manche Aufgaben finden sich dennoch kaum Freiwillige. Zum Beispiel für die Betreuung von Häftlingen oder Behindertenwohngruppen. Und der Kinderschutzbund sucht dringend Paten für in Hamburg lebende Flüchtlingskinder. „Das sind eben alles Tätigkeiten, wo man nicht nach drei Malen tschüß sagen kann“, meint Gabriele Glan-dorf-Strotmann.
Manchmal kommen auch Freiwillige mit eigenen Ideen für Dienste, die bislang von keinem Träger angeboten werden. Da hilft das Freiwilligen-Zentrum, Räume und andere Interessierte zu finden. So entstand zum Beispiel ein Kleiderladen für weniger Begüterte. Und die Mitarbeiter einer Unternehmensberatung bieten kostenlos Bewerbungstrainings für Migranten an.
Bislang galt Deutschland in Sachen Freiwilligenarbeit als unterentwickelt – im Vergleich etwa zu Schweden oder den Niederlanden. Seit ein paar Jahren aber sprießen überall in Deutschland Seniorenbüros, Netzwerke und Freiwilligen-Agenturen aus dem Boden. Eher unauffällig versuchen sie, unbürokratisch Probleme zu lösen, für die sich sonst niemand zuständig fühlt.
Das Bundesfamilienministerium will den Trend nun forcieren: Es hat in Berlin eine „Nationale Freiwilligen-Agentur“ aufgebaut, die bundesweit als Koordinierungsstelle dienen soll. An eine konkrete Anerkennung für selbstlose Arbeit, wie sie mehrere Wohlfahrtsverbände fordern, denkt Bonn allerdings nicht: Es wird keinen Bonus beim Studium geben, keine Steuerfreibeträge und auch keine Anrechnung auf die Rentenzeiten.
Freiwilligen-Zentrum Hamburg, Danziger Straße 66, 28014067. Montag bis Donnerstag 10 bis 13 Uhr, Dienstag und Donnerstag 16 bis 19 Uhr und nach Vereinbarung. Tag der Offenen Tür ist am Freitag, den 19. Juni, von 10-17 Uhr in der Danziger Straße 64.
Nationale Freiwilligen-Agentur, Singerstraße 109, 10832 Berlin, 030-2431490.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen