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Berlin darf den Bautarif nicht schützen

■ Ein Gericht untersagt dem Berliner Senat, Firmen von öffentlichen Aufträgen auszuschließen, wenn keine Tariflöhne gezahlt werden

Berlin (taz) – Obwohl die Baufirma aus dem polnischen Krakow kommt, soll sie ihren Beschäftigten trotzdem den viel höheren Berliner Tariflohn zahlen. Unternehmen aus Sachsen-Anhalt geht es genauso. Denn um die notleidende einheimische Bauwirtschaft zu schützen, verlangt der Berliner Senat von jedem Betrieb die Unterzeichnung einer „Tariftreueerklärung“, bevor er einen öffentlichen Auftrag bekommt. In einem bundesweiten Pilotverfahren hat das Berliner Kammergericht diese Praxis am Mittwoch jedoch für gesetzeswidrig erklärt.

Nachdem der Berliner Senat 1995 vorgeprescht war, zogen fast alle anderen Bundesländer nach. Nur Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Baden- Württemberg verzichten auf eine derartige Verpflichtung. Fällt die Regelung jetzt in Berlin, wird sie auch in den anderen Bundesländern aufgehoben. Aber so weit ist es noch nicht. Denn das Kammergericht hat eine mögliche Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof zugelassen, so daß die Entscheidung vom Mittwoch noch keine Rechtskraft erlangt. Einstweilen können die Länder die umstrittene Erklärung also noch verlangen. Schon in seiner Verfügung vom November vergangenen Jahres hatte das Bundeskartellamt die Berliner Tariftreueerklärung für null und nichtig erklärt. Dagegen legte der Senat Beschwerde ein, doch das Kammergericht schloß sich jetzt den Wettbewerbshütern an.

Der Streit geht allerdings nur um einen kleinen Teilbereich der Bauwirtschaft. Das Kartellamt konnte sich nur mit dem Straßenbau beschäftigen, denn dort hat der Staat als größter Nachfrager eine Monopolstellung inne. In Berlin beispielsweise würden 60 bis 70 Prozent der Straßenaufträge vom Senat vergeben, erklärt Silvio Malitius, Abteilungsleiter beim Kartellamt. Deshalb stelle die verlangte Anerkennung des Berliner Tariflohns einen Verstoß gegen das kartellrechtliche Diskriminierungsverbot dar. Der Senat schließe mit seiner Marktmacht nämlich diejenigen Betriebe von Aufträgen aus, die um des Überlebens willen aus den Tarifvereinbarungen ausgestiegen seien und niedrige Löhne zahlten. In Ostdeutschland nimmt die Zahl derartiger Firmen rasant zu. Das Kammergericht kritisierte besonders die Strafandrohung des Senats: Wer trotz unterzeichneter Erklärung unter Tarif bezahlt, wird für zwei Jahre von der Auftragsvergabe ausgeschlossen.

Berlins Bürgermeister Eberhard Diepgen und seinem Bausenator Jürgen Klemann (CDU) ist das Schicksal von Betrieben jenseits der Landesgrenzen jedoch herzlich egal. Sie wollen mit allen Mitteln verhindern, daß die trotz des Baubooms horrende Arbeitslosigkeit noch weiter ansteigt: Über 30 Prozent der Berliner Bauarbeiter suchen schon heute einen neuen Job. Auswärtige Firmen mit ihren billigen Beschäftigten würden die Betriebe der Hauptstadt in den Konkurs treiben, argumentiert die Landesregierung. Hannes Koch

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