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Die Spuren der Nelkenrevolution

Alle Jahre wieder prägen für einen Nachmittag rote Nelken und rote Fahnen das Straßenbild Lissabons.

Der 25. April wird gefeiert, jener Tag, an dem 1974 aufständische Militärs Diktator Antonio de Oliveiro Salazar stürzten und Portugal nach fast einem halben Jahrhundert zurück in die Freiheit führten. „Grandula, die dunkle Stadt im Alentejo, wo die Menschen in Brüderlichkeit und Freiheit leben wollen“, erklang die Stimme des Liedermachers José Alfonso im katholischen Radio Renascenca.

Es war das Signal für die jungen Offiziere um General Antonio Spinola, die wichtigen Punkte der Hauptstadt einzunehmen. Die Menschen gingen auf die Straße. Der Umsturz vollzog sich ohne Blutvergießen, die Nelken, und nicht die Gewehre, wurden zum Symbol der Revolution.

Jedes Jahr am 25. April erklingt „Grandula Villa Morena“ wieder auf der Avenida da Libertade in Lissabon. Dann versammeln sich Hunderttausende, um „die Werte des April“ einzufordern. Omas, Opas, Jugendliche, ganze Familie mit Kindern sind gekommen. Es herrscht Feststimmung. Der Demonstrationszug wird von einer naturgetreuen Nachbildung eines Panzers angeführt.

Im Rohr steckt ein Strauß Nelken. Kinder sitzen auf dem Gefährt und winken in die Kameras. Dahinter die Prominenz der Linksparteien und Gewerkschaften. Dann kommt das einfache Volk. Transparente gegen Entlassungen und für mehr soziale Rechte werden mitgeführt. Die Landarbeiter eines Dorfes im armen Süden, dem Alentejo, erinnern daran, daß trotz April bis heute kein Gesundheitszentrum im Ort eingerichtet wurde.

Auf den breiten Gehsteigen bauen derweil Soldaten in Uniform die Lautsprecheranlagen ab. Sie stammen von der Militärparade, mit der die offizielle Seite wenige Stunden zuvor des Nationalfeiertags gedacht hat. Das Volk hat längst die Ehrentribüne eingenommen, auf der während der hochoffiziellen Staatsfeier noch der Präsident der Republik und die Regierung saßen. Leute von der Straße nehmen im Schatten einer roten Plane den Aufmarsch ihresgleichen ab.

Entlang der Avenida Libertade hängen überall Plakate, auf denen zwei Menschen mit Gewehr und geballter Faust zu sehen sind. „Os dias levantados“ – aufständische Tage – steht da zu lesen. Das offizielle Lissabon gedenkt anläßlich der Expo ebenfalls der Militärrevolte, mit der für die einen alles zu Ende ging und für die anderen alles begann. Noch bis Oktober ist die Nelkenrevolution im Theater São Carlos als Oper zu bestaunen. Das Werk stammt aus den Federn des portugiesieschen Komponisten Antonio Pinho Vargas und des Schriftstellers Manuel Gusmão.

Welcher Tag wäre besser für die Uraufführung geeignet gewesen als der 25. April?

Lektüre: Merian – Lissabon und Portugal, Hamburg 1993, 148 S.; Lissabon, Merian live!, München 1997, 12,80 Mark. rw

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