Stunde der Wahrheit für Senegals „Mafia“

■ Bei den morgigen Parlamentswahlen könnten die Sozialisten zum ersten Mal verlieren

Berlin (taz) – In den Turbulenzen Afrikas war das westafrikanische Senegal immer eine Insel der Ruhe. Seit 1960 regiert ununterbrochen die Sozialistische Partei (PS), gestützt von einer unerschütterlichen Allianz von Großbauern und traditionellen islamischen Führern, und das trotz wiederholter Mehrparteienwahlen. Aber nach 38 Jahren könnte das nun vorbei sein.

Bei den morgigen Parlamentswahlen besteht zum ersten Mal eine reelle Chance, daß die PS nicht nur die Wahlen verliert, sondern auch gezwungen sein wird, eine Wahlniederlage anzuerkennen. Der Grund ist ganz einfach: Die Regierungspartei hat sich gespalten. Ein altgedienter Minister aus dem Apparat, Djibo Ka, hat die PS verlassen und mit viel Getöse eine „Union der Demokratischen Erneuerung“ (URD) gegründet, die seither mit einer schonungslosen Bilanz der PS- Herrschaft unter Staatschef Abdou Diouf durch Senegal zieht.

„Die PS ist eine Mafia, die sich das Land unter den Nagel gerissen hat!“ ruft Ka auf seinen gutbesuchten Wahlveranstaltungen – und er muß es wissen, gehörte er doch 15 Jahre lang als Minister dieser „Mafia“ an. Nun nennt er seine einstige politische Heimat die „Partei der Armut und des Analphabetentums“ und verspricht auf seinen Wahlplakaten: „Erneuerung – der Schlüssel zum Wandel“.

Die Spaltung der PS folgt auf Jahrzehnte des Niedergangs. Unmittelbarer Grund für Djibo Kas Austritt sind Vorwürfe statutenwidriger Beschlußfassung innerhalb der Partei. Aber die Probleme liegen tiefer. Das Land an Afrikas Westspitze steckt in einer tiefen ökonomischen und sozialen Krise. Die einst gepflegte Hauptstadt Dakar ist nach zwei Jahrzehnten anarchischen Wachstums zu einer Ansammlung rebellischer Slumviertel verkommen. Die Landwirtschaft, aufgrund der Nähe zur Saharawüste ohnehin immer prekär, leidet an Monokultur, ungleicher Landverteilung und fehlenden Investitionen. Die Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung liegt bei 60 Prozent. Bildungs- und Gesundheitswesen verfallen zusehends. 100.000 bis 140.000 Jugendliche strömen jedes Jahr neu auf den Arbeitsmarkt – Präsident Diouf kann nicht einmal sein Versprechen halten, jährlich 20.000 Arbeitsplätze zu schaffen. Der Süden des Landes, zwischen Gambia und Guinea-Bissau, ist von einem blutigen Bürgerkrieg erschüttert.

Bisher fing Diouf die Unzufriedenheit dadurch auf, daß die lokalen Größen der PS hemmungslos Stimmen kauften. Außerdem kooptierte der Präsident seine Gegner immer wieder durch die Vergabe von Ministerposten. Glaubwürdige Opposition kennen die Senegalesen von ihren Politikern nicht.

Daran hat sich auch jetzt nichts geändert, aber die Spaltung der PS schwächt den Apparat der Regierungspartei. Die „Erneuerer“ der PS kennen ja alle Tricks der Vergangenheit. Daß die URD mit den bisherigen Oppositionsparteien eine gemeinsame Wahlüberwachung plant, um Fälschungen zu verhindern, könnte sich daher diesmal als effektiver Garant transparenter Wahlen erweisen. Dazu kommt, daß Präsident Abdou Diouf – nach wie vor ein schlauer Politiker – sich von seiner eigenen Partei zunehmend distanziert. Im Laufe des vergangenen Jahres hat er immer mehr wichtige Regierungsposten aus den Händen der PS in die des Militärs verlagert, was den meisten Senegalesen als Fortschritt erscheint. Seit Jahren gibt es auch Spekulationen, Diouf könne sich bei gegebenem Anlaß von seiner Partei trennen – zum Beispiel rechtzeitig zur nächsten Präsidentschaftswahl, die im Jahre 2000 stattfinden wird.

Vielleicht, so mutmaßen manche Beobachter nun, steht der Anlaß für die Trennung zwischen Präsident und Partei jetzt bevor. Die Spaltung der Sozialistischen Partei wäre dann für den amtierenden Staatschef eine Art Testballon. Dementsprechend, und auch weil die „Erneuerer“ im Wahlkampf die Nase vorn haben, wächst im sozialistischen Lager jetzt die Panik.

Den ersten Toten des Wahlkampfs gab es am 14. Mai bei einem Streit unter PS-Aktivisten. Und kürzlich vergewaltigte der Fahrer des Wahlkampfkonvois von PS-Generalsekretär Ousmane Tanor Dieng während einer Wahlkampftour die Tochter des Schwagers eines ehemaligen mächtigen Staatsministers.

Die 3,7 Millionen eingeschriebenen Wähler denken sich dazu ihr Teil. Kein Regierungswechsel wird ihr Leben schnell verbessern – im April unterzeichnete die Regierung ein neues Strukturanpassungsabkommen mit dem Internationalen Währungsfonds, das die staatlichen Prioritäten für die nächsten drei Jahre bereits festlegt. Gegen unerwünschte Autokonvois ungeliebter Politiker greifen manche Dörfer bereits zu einem altbewährten Mittel: Sie graben die Straße auf. Dann können die teuren Wagen gar nicht erst hinein, und die Bauern haben ihre Ruhe. Dominic Johnson