■ Schlagloch: Rucke di Guh, Dreck ist im Schuh! Von Christiane Grefe
„Wer sie anzieht, dem wird ein jeder Wunsch sogleich erfüllt und der Mensch so endlich einmal glücklich hienieden! Hans Christian Andersen: „Die Galoschen des Glücks“
Frühjahrskur wieder mal verpaßt, dafür mittellebenskrisenfesten Vorsatz gefaßt: Ich geh' ab sofort auch joggen. Für letzten Aufschub bot sich nur noch diese Ausrede: zerrissene Turnschuhe. Also auf in den Sportwarenpalast, wo mich vor muskelprotzenden Regalen gleich die erste Konditionsschwäche ereilte: EQT-Solution, Cell Passion, Überpronationsstützen, High-Cut-Konstruktion – was soll es bedeuten, alles so schön bunt hier. Werde ich mit „Galaxy Lady“ meinen Füßen schmeicheln? Oder sind tatsächlich viele High-Tech- Variationen, wie kürzlich in Geo der Fachhändler Ulf Lunge bemängelte, vorwiegend Marketing- Luftnummern zum Angeben, so windig wie die eingebauten Zoom- Air-Sohlen und Kammersysteme?
Status statt Nutzwert, Kaufen als Selbstzweck und Sinn – anschaulicher als jeder andere Schnickschnack verkörpern ausgerechnet die einstigen Symbole grünen Konsumverzichts den kapitalistischen Antriebsmotor, der immer höher und höher tourt – mit weltweiten Kosten für Mensch und Natur. Gar nicht lang her, daß es für 30 Sportarten drei Turnschuhmodelle gab – haben wir darunter ganz erbärmlich gelitten? Heute hingegen sind mehrere tausend aufgebrezelte Globe-Treter im Handel, und jedes Vierteljahr schwappt schon wieder die nächste Kollektion auf den Markt.
Das Prinzip der beschleunigten Materialumwälzung erklärt Nike- Chef Phil Knight knapp und klar: „In der Herstellung von Dingen liegt keine Wertschöpfung mehr.“ Also verkaufen die Unternehmen statt Schuhen „Innovation“. Und Images, Trends, weil dann auch kauflustige Nichtathleten in die Sneakers steigen: „Für den Sport braucht der Kunde ein, zwei paar Turnschuhe“, verrät ein Branchensprecher; „aber wenn Basketball-, Jogging- und Aerobicschuhe Mode sind, dann will er grenzenlos viele!“ Solche Umwidmung erfahren neuerdings auch Bergstiefel: Erst wird der Spaziergang zum „Powerwalking“ umdefiniert – und schon braucht die Szene teure „Explorer“ und „Walking Machines“. Zehn Prozent des Umsatzes – bei adidas sind das 800 Millionen Dollar – werden jedes Jahr allein in die Turnschuh-Werbung gepumpt: Rucke di Guh, ein Traum ist im Schuh! Der Traum, ein Sieger zu sein.
Der bleibt nicht ohne Folgen:; Amerikaner geben zum Beispiel doppelt soviel Geld für Kinderturnschuhe wie für Kinderbücher aus. Und im Münchener Jetzt-Magazin seufzte kürzlich ein Fan: „Er hat mich glücklich gemacht“ – und meinte damit tatsächlich den Kantenschwung seiner zwölf Paar Markentreter, denn: „Nikes Coolness färbt auf mich ab...“
Allerdings schrieb da ganz uncool ein „Betrogener“ von den Socken, nachdem er erstmals mit der Kehrseite der Leichtigkeit konfrontiert worden war: mit Teenagern, die in den asiatischen Zuliefermanufakturen der großen Sportschuhmarken oft 12- bis 16-Stunden-Tage wegschuften. Die bei der Arbeit nur einmal am Tag auf die Toilette dürfen. Die von den Dämpfen chemischer Lösungsmittel krank werden und erniedrigt, geschlagen, zu Spätschichten gezwungen, so daß wegen Übermüdung dauernd Arbeitsunfälle geschehen: Rucke die Guh, Blut ist im Schuh! Und während der umschwärmte Basketballstar Michael Jordan von Nike jedes Jahr allein 20 Millionen Dollar kassiert, kommen laut terre des hommes 12.000 Arbeiterinnen in indonesischen Schuhfabriken zusammen auf ein Viertel dieser Summe.
Lächerliche drei Prozent beträgt noch der Lohnanteil am Verkaufspreis der „Galoschen des Glücks“; angesichts der zugleich gigantischen Gewinne wäre da wohl Spielraum für ein wenig globale Umverteilung. Doch nichts schreckt die Sportriesen mehr. Als in Korea Anfang der 90er Jahre demokratische Reformen und wirtschaftlicher Fortschritt – „inakzeptable Rahmenbedingungen“ nennt das die Firma „Asics“ – in Lohnerhöhungen mündeten, da zog die Karawane der Schuhindustrie weiter Richtung Indonesien, China, Vietnam, und 400.000 Koreaner verloren den Job.
Auf ein existenzsicherndes Einkommen statt der ein, zwei Dollar täglichen Hungerlohns für asiatische Arbeiterinnen will auch der Nike-Chef nicht dringen. Doch das ist der einzige Schönheitsfehler der Erklärung, die er letzte Woche in Washington abgab. Über die Selbstverpflichtungen von Reebok, Puma und anderen hinaus versprach Phil Knight jetzt, amerikanische Umwelt- und Sozialstandards in seinen Sweatshops durchzusetzen – und das Entscheidende: daß er deren Einhaltung vor Ort von unabhängigen Gremien inspizieren lassen wolle. Der Turnschuh liegt vor: Verbraucher- und Menschenrechtsorganisationen werteten Knights Zugeständnis als echten Fortschritt und „Zeichen wachsender Stärke der Kritiker“, die das Unternehmen seit über einem Jahr brandmarken. Der Vorteil der ganzen coolen Imageblasen ist immerhin, daß man sie platzen lassen kann: Im Kaufrausch- Wettbewerb fürchten Turnschuhfirmen, daß sie den Laufpaß kriegen. So wollen nun „Südwind“ und andere Gruppen in Deutschland pünktlich zur Fußball-WM Nikes Hauptkonkurrenten adidas zusetzen. Der hat sogar das Recht auf gewerkschaftliche Organisation garantiert – doch in der Verbindlichkeit hinkt der Verhaltenskodex im Vergleich hinterher. So wichtig diese Konsumentenkampagnen sind: Politischer Druck für die Arbeiterrechte muß sich auch auf das „Multilaterale Investitionsabkommen“ richten, das ja nach Protesten nur aufgeschoben ist. Und zu Recht hat Bill Clinton letzte Woche bei der Welthandelsorganisation weltweite soziale Standards angemahnt. Und mehr Rücksicht auf die Umwelt. Auch deren Gefährdung läßt sich am Turnschuh studieren.
Rucke di Guh, Dreck ist im Schuh: Schlicht „echten Sondermüll“ nennt Fachhändler Ulf Lunge manche Nachhilfen für Speedy Gonzales. Das Journal of Commerce kapitulierte bei dem Versuch, Zusammensetzung und Herstellungsorte der zahllosen Turnschuh-Bestandteile zu rekonstruieren: Er entspreche demjenigen, „die Eier wieder zu entrühren“. Leder aus Texas wird in Korea chemisch behandelt, Synthetik und Sohlen aus saudiarabischen Erdölprodukten in Taiwan gefertigt, all dies und mehr in Indonesien montiert und fliegt dann in Schuhschachteln aus New Mexico nach New York, Rio, Tokio... Eine energiefressende Transportorgie auf Kosten des Klimas: Nur weltweite Steuern auf Diesel- und Schiffskraftstoffe und Flugbenzin können helfen, daß sich die Produktion wieder stärker regionalisiert.
Vom Kauf abgesehen habe ich aber nicht wegen all dieser globalen Zusammenhänge. Vielmehr geriet ich in einen Zweifel, den ein früherer Turnschuhminister hundertprozentig nicht hegt: ob überhaupt mein ganzes Jogging-Bedürfnis ein ursprüngliches sei oder auch bloß erzeugt?
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