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Ernüchterung statt großer Visionen

■ Am Pfingstwochenende tagt zum 19. Mal die Volksuni. Das „Lernfest“ beschäftigt sich vor allem mit Wegen aus der Arbeitslosigkeit und der Zivilgesellschaft: Selber denken ist gefragt

Die Zeit deutsch-deutscher Befindlichkeiten ist ebenso vorbei wie die optimistische Suche nach neuen Wegen. Unter dem nüchternen Motto „Ausgrenzung 2000“ geht die traditionell zu Pfingsten stattfindende Berliner Volksuni in die 19. Runde. Nach mehreren Jahren, in denen das alternative Bildungsfest unter so schillernden Slogans wie „Drüber und drunter in Deutschland“ oder „Zukunftsarbeit“ stand, suggeriert schon der Titel Ernüchterung. Statt um große Visionen soll es bei der dreitägigen Veranstaltung, die zum ersten Mal seit 1990 wieder im Westteil der Stadt tagt, um all die Mechanismen gehen, die das Leben für Minderheiten aller Couleur imer schwieriger werden lassen: Vernichtung von Arbeitsplätzen, Rückkehr zum Keynesianismus, Razzien in Innenstädten, Überwachung der Grenzen.

„Die Ausgrenzung“, heißt es im Programm, „bleibt eine Obsession, die vom Ausgegrenzten eingeholt wird. Die als überflüssig Erklärten lassen sich nicht fernhalten.“

Weil das so ist, soll vor allem über Gegenstrategien und alternative Ansätze diskutiert werden: Welche Arbeitszeitmodelle bieten andere Länder? Ist das Bürgergeld eine sinnvolle Alternative? Wie kann die Zivilgesellschaft gestärkt werden? Trotz der düsteren Perspektive soll es aber nicht nur trist, trocken und theoretisch zugehen. Schließlich wollte die alternative Universität immer schon ein „großes Lernfest sein, das die verschiedensten sozialen Bewegungen zusammenbringt“, so das Gründungsmitglied Jan Rehmann.

Vertreter der Innenstadtaktion werden ebenso tagen wie Teilnehmer des Studentenstreiks aus dem vergangenen Wintersemester. „Linke und Popkultur“ steht auf dem Programm, aber auch „Rechtsextremismus in der Schule“. Leitmotiv des Diskussionsmarathons, das von Freitag abend bis Montag abend über achtzig Veranstaltungen versammelt: Lösungen werden nicht angeboten – selber denken ist gefragt.

So steht zu erwarten, daß trotz der Konkurrenz vom Karneval der Kulturen auch in diesem Jahr wieder zweitausend Besucher zu dem linksalternativen Bildungsfest strömen werden. Immer wieder wird es vermutlich auch in diesem Jahr um die linken Klassiker Macht und Ohnmacht, Herrschaft und Unterordnung gehen.

In Zeiten des Umbruchs und angesichts so vieler Jubiläen (150 Jahre 1948, 30 Jahre 1968) hält sich „die Linke“ oder das, was von ihr übriggeblieben ist, aber auch einen Spiegel vor. So soll – nicht unbedingt typisch für die Volksuni – am Wochenende auch über Themen geredet werden, die „die Linke lieber ausgegrenzt hätte“, wie Pressesprecherin Britta Grell sagt: die Verbrechen des Kommunismus, der Abschied vom Proletariat, das vermeintliche Scheitern der multikulturellen Gesellschaft, „die Rechten und Nationalisten als die wahren sozialen Bewegungen der neunziger Jahre“.

Damit wird zu guter Letzt auch die Volksuni erwachsen. Bei ihrer Gründung wollten Gewerkschafter und Wissenschaftler vor allem die heillos zersplitterte Linke wieder zusammenführen. Gegen Ende der achtziger Jahre schien die Bewegung am Ende. Erst nach der Wende kam mit Namen wie Heinrich Fink oder Wolfgang Ullmann frischer Wind aus dem Osten in die Veranstaltungen – und in das Kuratorium. Ende 1993 kam es zu einem Eklat: Ehrenamtliche Mitarbeiter rebellierten gegen das Machtgebaren des Kuratoriumsmitglieds Wolfgang Fritz Haug, der seit Jahren mit autokratischen Methoden das Ressort „Grundfragen und Geschichte der sozialen Bewegungen“ unter sich beherbergte.

Das wiederum widersprach nicht zuletzt dem neuen Manifest, das man sich 1991 gegeben hatte: Danach will die Volksuni vor allem „Stützpunkt einer politischen Kultur von unten“ sein. Eins aber ist ihr in 19 Jahren noch nie geglückt: die Menschen auf der Straße zu erreichen. Uni bleibt halt Uni. Jeannette Goddar

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