: Kein Tag unter 328 Millionen Mark Kredit
■ Rechnungshof: Dramatische Haushaltslage und wenig Bewußtsein
An jedem einzelnen Tag im vergangenen Jahr hat die Finanzverwaltung mindestens 328 Millionen Mark an Kassenkrediten aufgenommen, um überhaupt zahlungsfähig zu bleiben. Am 12. Dezember 1996 wurde ein Höchststand von 5,2 Milliarden Mark an Kassenkrediten erreicht. Fast 39 Prozent der Berliner Steuereinnahmen müssen allein für Zinsen und Schuldendienst gezahlt werden. Und allein aufgrund des Personalüberhangs von 7.000 Bediensteten schleppt der Senat ein verdecktes Haushaltsrisiko von über einer halben Milliarde Mark mit sich.
Die Bilanz, die der Präsident des Rechnungshofes, Horst Grysczyk, bei der Vorstellung seines Jahresberichtes gestern gezogen hat, ist dramatisch. „Die Finanzlage Berlins“, so Grysczyk anläßlich dieser Zahlen, „ist noch immer im Gefahrenbereich einer extremen Haushaltsnotlage. Unsere unzweifelhafte Aussage ist: Es gibt keine Alternative zu strukturellen Einsparungen.“ Erst 2001/2002 könne Berlin bei Beibehaltung des strikten Sparkurses wieder auf einer „ordentlichen Grundlage stehen“. Auch in Wahljahren dürfe man deshalb nicht an eine höhere Verschuldung denken.
Das „eigentlich fast Tragische“ allerdings sei, „daß die Verwaltungen in dieser finanziellen Situation weitermachen wie bisher“. Ein Bewußtsein davon, daß man jede Mark zweimal umdrehen müsse, konnte Grysczyk nicht feststellen. „Das ist in den Köpfen der Mitarbeiter noch nicht angekommen.“ Sowohl in den Senatsverwaltungen als auch in den Bezirken würden Aufträge noch immer vielfach ohne Wettbewerb vergeben, statt auf die günstigsten Angebote zurückzugreifen. So habe die Finanzverwaltung Beratungsverträge „freihändig“ vergeben und damit ohne Wettbewerb 1,5 Millionen Mark ausgegeben. Die meisten Bezirke setzten außerdem bei der Reinigung von Schulen auf Altbewährtes. „Ein erheblicher Teil der Reinigungsverträge ist schon vor mehr als 20 Jahren geschlossen worden“, so Grysczyk. Durch Ausschreibung der Reinigungsarbeiten sei in zwei Bezirken fast 1 Million Mark eingespart worden.
Der Rechnungshofpräsident warnte gestern jedoch auch davor, Berlin kaputtzusparen. Bei der Bauunterhaltung habe man eine besorgniserregende Entwicklung festgestellt. Bei einem Bedarf von 1,4 Milliarden Mark seien nur etwas mehr als 700 Millionen Mark ausgegeben worden. „Wenn wir das dauerhaft vernachlässigen, gefährden wir unser Vermögen“, so Grysczyk. Barbara Junge
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