piwik no script img

Der Kiez der Urbaniten

Potsdamer Platz: Europas größte Baustelle bietet Einblicke von der Baugrube bis zum fertigen Hochhaus. Wenig ist „Stadt“, alles ist in Bewegung, im Aufbau  ■ Fotos: Erik-Jan Ouwerkerk

Halbzeit bei der roten Info-Box, ebenso Halbzeit beim Bauvorhaben von Sony, Einzug bei debis/ Daimler Benz, wo vor fünf Jahren zum „ersten Spatenstich“ angesetzt wurde. Und wieder Halbzeit bei den tiefen Tunnelgruben für die Fernbahnen, in die der Blick Tausender Besucher am Potsdamer Platz täglich hinunterfällt. Die Bauguben hier, die fertigen Gebäude und Tore auf der anderen Seite – „Europas größte Baustelle“, wie die Investoren nicht müde werden zu betonen, bleibt in der Stadt das Faszinosum: an Peinlichkeit, Verrücktheit und eigenartiger Lebendigkeit. Und Zukunft?

Schön ist sie nicht, die künstlich gebaute Insel aus Beton, Stahl und Glas im Stadtgrundriß. Aber sie regt an zu unterschiedlichen Emotionen. So soll es Menschen geben, die sich mittlerweile weigern, am Landwehrkanal vorbeizufahren, weil sie der Anblick der dunklen Brückenbauten – in denen jetzt die Volksbank residiert – beleidigt. Als Orte der Unsicherheit, an die man sich am besten nur mit Begleitschutz begibt, hatte einmal der Verleger Klaus Wagenbach die neuen Bürowelten kritisiert. Das finden andere nicht. Diese „Urbaniten“ marschieren tagtäglich durch den Kiez aus Häuserschluchten auf dem Weg ins „Kasino“ der debis-Zentrale, um dort zu speisen. Wohl bekommt's.

Direkt am Potsdamer Platz reißen sich derweil die Bauarbeiter in der Tunnelgrube, bei den Roland- Ernst-, bei den Kollhoff- und Rogersbauten und bei Sony gegenseitig die Knöpfe ab. Während hier noch für das Fundament gegraben wird, wird dort schon die Fassade eingesetzt und obendrauf noch Stockwerk um Stockwerk hochgezogen. Die Baulogistik gleicht einer Inszenierung der Perfektion, die doch nicht – siehe Tunneleinbruch – den GAU ausschließt.

Was bleibt für morgen? Die vage Hoffnung, daß die Arbeitermassen und Baustellentouristen einmal „denen vom Potsdamer Platz“ die Klinke in die Hand geben. Darauf deutet noch wenig hin; auch nicht die fast fertige „Mall“. Dazu fehlt der perfekten Insel der Anteil Chaos, der Stadt einfach ausmacht. Oder? rola

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen