: Stolz und patriotisch auf eine gefährliche Art
■ Abdul Kalam und Abdul Qadeer Khan: Die Väter der indischen und pakistanischen Atombombe
Zwei Männer gelten als die Väter der Atomwaffenprogramme in ihren Ländern: Abdul Qadeer Khan in Pakistan und A.P.J. Abdul Kalam in Indien. Beide verkörpern die Gemeinsamkeiten und Widersprüche, die auch die anderen Geschicke der „Bruderstaaten“ kennzeichnen. Nicht nur Abdul Kalam, Direktor der indischen Defence Research and Development Organisation (DRDO), auch Abdul Khan ist in Indien geboren. Und nicht nur Khan, heute Bürger des islamischen Staates Pakistan, ist ein radikaler Muslim. Auch Kalam ist ein Gläubiger, für den es ebenso selbstverständlich ist, täglich seine Gebete zu sprechen wie der Order einer hinduistisch angehauchten Regierung zu folgen.
Ihrer Persönlichkeit und ihrem Werdegang nach gleichen sie sich dafür kaum. Khan ist trotz seiner geheimnisumwitterten Tätigkeit extrovertiert, ein großgewachsener Mann, der mit seinen Äußerungen provozieren will, sei es nur der Publicity halber. Er bezeichnet nicht nur Indien als Feind, sondern auch den Westen. 1990 soll er Saddam Hussein angeboten haben, ihm bei der Herstellung einer A-Bombe behilflich zu sein. Kalam dagegen entspricht mit seinem langen, lockigen Haar, seiner kleinen Statur und leisen Stimme eher dem Stereotyp des verschrobenen Wissenschaftlers, der in einer kleinen Zweizimmerwohnung lebt, Gedichte schreibt und die Veena, eine indische Laute, spielt.
Khan, 1936 in Bhopal geboren, wanderte als 16jähriger nach Pakistan aus. Nach seinem Grundstudium in Karachi ging er nach Holland, wo er 1972 seine Ausbildung als Metallurgie-Ingenieur abschloß. Sein Doktorvater verschaffte ihm einen Job bei Urenco, der europäischen Anstalt für Urananreicherung in Almelo. Als er 1975 in den Verdacht der Werkspionage geriet, setzte er sich nach Pakistan ab. In seinem Gepäck, so 1979 die Behauptung in einem holländischen Regierungsbericht, hatte er Blaupausen für den Bau von Anreicherungsanlagen zur Gewinnung von spaltbarem Uran.
Zulfiqar Ali Bhutto, der nach Indiens erstem Atomversuch 1974 als Präsident Pakistans seinem Land die Bombe verschaffen wollte, beauftragte Khan mit dem Aufbau des Atomwaffenprogramms. Im folgenden Jahrzehnt gelang es Khan, mit Hilfe des heimlichen Kaufs von Nukleartechnologie sein Land bis an die Schwelle der Waffenfähigkeit zu bringen. Es war nach den Worten des US-amerikanischen Südasienexperten Stephen Cohen „eines der erfolgreichsten industriellen Spionageprogramme der Geschichte“.
Zunehmend profitierte Khan dabei auch von chinesischer Hilfe, und es gibt Gerüchte, wonach eine erste pakistanische A-Bombe 1985 auf dem chinesischen Versuchsgelände von Lop Nor getestet wurde. Im April diesen Jahres wurden seine Q. Khan Research Laboratories von den USA mit Liefersanktionen belegt, weil er mit verbotener Technologie aus Nordkorea eine Mittelstreckenrakete bis zur Testreife gebracht habe.
Wie Dr. Strangelove aus Stanley Kubricks 2001 ist Khan eine geheimnisumwitterte Person, dessen totale Abschirmung nur von ihm selbst manchmal durchbrochen wird. Der Inder Kalam dagegen ist ein zurückhaltender, aber umgänglicher Mann, der immer wieder bei Veranstaltungen in Indiens Hauptstadt Delhi zu sehen ist. Und im Gegensatz zu Khans Schlüsselerlebnissen in Holland beschränkt sich seine internationale Erfahrung auf einen Besuch der Nasa- Anlagen im Jahr 1963. Der heute 67jährige Flugzeugingenieur absolvierte seine gesamte Ausbildung in Indien. In der Indian Space Research Organisation (ISRO) gelang es Kalam 1980, einen Satelliten mit Hilfe einer selbstgebastelten Rakete im All zu plazieren. Und als Direktor der militärischen Technologieschmiede DRDO entwickelte er Indiens einheimisches Raketenprogramm.
Während die Meisterschaft des Pakistaners Khan darin bestand, sich internationalen Liefersperren zum Trotz alle Verfahren zum Basteln einer Bombe zu beschaffen und diese zu vereinen, wählte der Inder Kalam den Weg der Eigenentwicklung. Als er Indiens Atomprogramm übernahm, konnte er dabei auf eine große Infrastruktur von Atomkraftwerken, Versuchsreaktoren und die weltweit zweitgrößte Zahl von Nuklearphysikern zählen; das war im übrigen das Ergebnis einer jahrzehntelangen Ausgrenzung Indiens aus dem Klub der Atommächte.
Trotz der unterschiedlichen Wege, trotz der verschiedenen Persönlichkeiten sind beide, Khan und Kalam, am Ziel ihrer Anstrengungen. Und beide sind stolz darauf. Denn in einem sind sie sich ähnlich: Sie sind glühende Patrioten. Und für beide ist es ein Patriotismus der gefährlichen Art, denn er beruht nicht nur auf die Liebe zum eigenen Land, sondern auch auf die Ablehnung des anderen.
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