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Simpel, genial und einfach schön

Am Pfingstmontag wird die sanierte Windmühle in Wilhelmsburg als Museum wiedereröffnet. Das 123 Jahre Wahrzeichen des Stadtteils heißt jetzt Johanna  ■ Von Ulrike Winkelmann

Mit Segelschiffen haben Mühlen gemeinsam, daß es bei ihnen um Wind und Kraft und steile Eleganz geht, und deshalb wundert es auch kaum, daß Mühlen meistens Frauennamen tragen. Eine Ausnahme bildet bislang die Wilhelmsburger Mühle: Sie wird erst am Pfingstmontag getauft. Auf dem 5. Wilhelmsburger Mühlenfest, einer Veranstaltung des Norddeutschen Mühlentages (siehe Kasten), soll sie den Namen „Johanna“ erhalten, und Stadtentwicklungssenator Willfried Maier wird zwischen Inselgottesdienst und Jazz-Frühschoppen auch dabeisein.

Vollzogen wird die Taufe durch die Namensgeberin persönlich. Johanna Sievers hatte 1959 hier das letzte Korn gemahlen und das Gebäude dann an die Stadt verkauft. Die heute 93jährige hatte die Mühle 1935 mit ihrem Mann übernommen – „25 Jahre kein Urlaub, kein gar nix, und geschadet hat es auch nicht“ – und ist froh, „daß Wilhelmsburgs Wahrzeichen jetzt wieder so schön ist“.

Denn Anlaß der Feierlichkeiten ist in diesem Jahr, daß die Restaurierung der Mühle an der Schönenfelder Straße sozusagen beendet ist: Von außen erstrahlt der „zweistöckige Galerieholländer“ von 1875 bereits wieder im alten reetgedeckten Glanz, und innen legen holländische Spezialisten und ehrenamtliche HelferInnen letzte Hände an Maschinerie und Putz. Wer sich durch die „Böden genannten Stockwerke hocharbeitet, gerät mitten in eine große Maschine, deren Elemente etwa „Rüttelschuh“ und „Königswelle“ heißen. Große hölzerne Zahnräder lassen sich butterweich bewegen; nur ganz oben, in der Kappe, sind Eichen-Elemente durch Stahl ersetzt worden.

„Wenn sie auch nicht die größte Mühle im Umkreis ist, so sagen aber alle vom Fach, daß sie die stattlichste ist“, sagt Carsten Schmidt und verweist auf den „schmucken Landhausstil“ des gekalkten Unterbaus mit grünen Fensterläden. Der 35jährige stellvertretende Referent für Volksfeste, Sonderveranstaltungen und Märkte, kurz: Vize-Domherr der Wirtschaftsbehörde, hat sich schon 1989 in die Mühle verguckt. Doch damals war sie in einem erbärmlichen Zustand: „Die Technik war hin, die Galerie morsch, die Flügel waren nur Attrappen“, und der Holzwurm hatte ein Übriges getan.

„Nach Beendigung des Mühlenbetriebs waren hier ein Pelzhändler, ein Tiefkühlfritze und Büros drin“, erzählt Schmidt, „und die haben die Maschinen einfach hinausgeworfen“; die städtische Vermieterin Sprinkenhof AG kümmerte sich ebenfalls nicht um das denkmalgeschützte Bauwerk.

1992 wurde der Wilhelmsburger Mühlenverein gegründet – erster Vorsitzender: Carsten Schmidt – und beschloß, die Mühle zu sanieren und zum Museum auszubauen. Der Mühlenverein sammelte Mitglieder, Spenden und Sponsoren, doch erst als sich der Topf des Wilhelmsburger Stadtentwicklungsprogramms öffnete, waren die nötigen 600.000 Mark beisammen.

„Natürlich gab es damals Leute, die meinten, daß das Geld lieber in Sozialmaßnahmen gehen sollte“, sagt Schmidt. „Aber die meisten fanden, daß die Mühle als Wahrzeichen des Stadtteils gerettet werden müßte.“ Mit dem Geld und jahrelanger ehrenamtlicher Arbeit von rund einem Dutzend Rentner, Banker, Hausfrauen und anderer konnte die „simple, aber geniale Technik“ (Schmidt) wiederbelebt werden.

Jetzt sind Flügel und Kappe wieder drehbar, und bei fünf bis sieben Ideal-Windstärken könnten theoretisch alle vier Mühlrad-Paare, die im Jargon „Mahlgänge“ heißen, betrieben werden. „Natürlich schafft das keiner zu beaufsichtigem“, weiß Schmidt.

Als fertige Museumsmühle soll es einmal möglich sein, mit Originalwind Originalmehl zu mahlen, das in einem noch zu bauenden Original-Backhaus zu Brot verbackt werden soll, das in einem Museumscafé verzehrt werden könnte. Bei der Vorstellung von einer Mühlen-Bibliothek mit alten Mühlen-Fachbüchern gerät Schmidt ins Schwärmen – „aber das ist alles noch viel Arbeit.“

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