Wand und Boden: Sinn fürs Belebte
■ Kunst in Berlin jetzt: Meg Cranston, Iwao Yamawaki, Konzept-Photographie, Gesichter und Dinge
Es sieht alles ungeheuer Eighties aus. Meg Cranston malt heftig und bunt und zitiert, was von Pop bis Neo-Geo übrigblieb. Die Beatles geistern als schwarze Scherenschnitte durch eine abstrakt gemusterte Landschaft, in der auch einige Comicmäuse Platz finden. Im hinteren Raum der Dogenhaus Projekte begegnet man dann Ian Hunter, dem fast schon vergessenen Sänger von Mott the Hoople, dessen ebenfalls schwarzer Umriß zwischen Versatzstücken aus dem Zeichenfundus von 70er-Jahre-Platten zu verschwinden droht.
Mit ähnlichem Stilgewirr hat sich früher Martin Kippenberger am High und Low der Malerei abgearbeitet. Doch bei Cranston fügen sich die Fußnoten nicht wieder zu einer Erzählung zusammen. Natürlich sind die irrlichternden Trips in den Musikmainstream witzig gemeint: Plötzlich taucht die gitarrespielende Sister Wendy als schnell hingetuschtes Porträt im Reigen auf, und eine Ecke weiter sieht man Cranston herself, wie sie sich in die Schulter beißt – ganz der alte Sigmar Polke. Andererseits versteht die kalifornische Künstlerin, die sich lange mit Performances beschäftigt hat, ihre Gemälde als Exempel: Bei allem Stilwillen im Detail geht es darum, wie sehr sich Malerei momentan an bekannten Oberflächlichkeiten langhangelt. Das ist immerhin eine These, nur leider keine sehr gewagte.
Bis 27.6., Mi.–Fr. 14–19, Sa. 12–17 Uhr, Auguststraße 63
Vor dem weiß blitzenden Kaufhaus Schocken in Chemnitz steht ein Pförtner und macht kauzige Handzeichen, dahinter gehen ein paar irritierte Passanten an dem frisch eröffneten Geschäft vorbei. Daß überhaupt Menschen auf dem Bild von Iwao Yamawaki zu sehen sind, wird dem japanischen Fotografen als Sinn fürs Belebte ausgelegt – denn Menschen waren auf den Architekturfotos des Bauhauses gar nicht vorgesehen. Selbst auf den Straßen der Dessauer Siedlung Törten, die Walter Gropius 1930–32 gebaut hatte, spielen Kinder Fußball. Das Foto besitzt schon deshalb Seltenheitswert, weil der Chefdenker des „Neuen Bauens“ kaum Aufträge hatte.
Yamawaki wurde 1898 als Iwao Fujita in Nagasaki geboren. Mit 30 Jahren heiratete der bereits avantgardistisch arbeitende Architekt und nahm den Namen seiner aus reichem Hause stammenden Frau an. Zwei Jahre später gingen die beiden nach Dessau ans Bauhaus: Sie verschwand in der Werkschule hinter einer Webbank, er wurde zum Dokumentarfotografen für Designobjekte und Paradebauten. Offenbar kam die klare Gestaltung auch der Präzision in der japanischen Formensprache entgegen. Yamawaki gibt jedem Ding, von der „Goethe“- Leuchte oder dem reduzierten Schwinger Mies van der Rohes bis zum wellenförmigen Berliner Shell-Haus (heute Hauptsitz der Bewag) ein warmes Finish. Aus heutiger Sicht sind es eher Werbefotos als Ideologie.
Bis 13.6., Di.–Fr. 13–19, Sa. 12–18 Uhr, Galerie Bodo Niemann, Hackesche Höfe VI
Der Beginn der Konzeptkunst wird gerne mit einer Arbeit von Joseph Kosuth gleichgesetzt. Das besondere an „Chair“ war, daß der US-amerikanische Künstler ein Foto neben den realen Stuhl und dessen lexikalische Definition hängte – Malerei kam in Kosuths Interpretation des platonischen Dreischritts von der Idee zum Bild zum Gegenstand 1965 nicht mehr vor. Insofern kann sich „Konzept-Photographie“ in der Galerie Volker Diehl auf die theoretische Vorarbeit Kosuths verlassen: Jede der neun Positionen gehört längst zur Kunstgeschichte.
Die Idee hinter dem Bild ist dabei meist ein Spiel mit anderen Medien: Auf „Continental“ inszeniert sich eine extrem gut aussehende Katharina Sieverding als Filmdiva, deren Gesicht selbst im Schummerlicht harte Kontraste bildet. Und für Giulio Paolini besteht die „Apotheose des Homer“ aus einer Reihe mit 32 Bildern, die er Fernsehen, Kino und Zeitungen entnommen hat. Der Unterschied zwischen historischer Darstellung und eingeübter Filmrolle verschwindet, nur die Eindringlichkeit der Gesten und Images zählt. Daneben wirken Arbeiten von Bill Beckley oder Janet Rifkin wie ein mühsamer Kampf mit klassischen Ausdrucksmitteln. Beckley läßt Wasser aus einem Hahn in eine Schüssel tropfen, wobei für alle drei Situationen das Fotopapier in geometrischen Grundformen zurechtgeschnitten wurde. Bei Rifkin lebt das Einzelbild erst in der Abfolge von Prozessen: Ihre Kombination aus Türrahmen, Vorhang und Handtuch verändert sich mit den Tageszeiten. Zuletzt benutzt Michelangelo Pistoletto für „Un Uomo“ einen Spiegel als Projektionsfläche. Die aufgedruckte Rückenansicht eines Mannes im Anzug führt jedoch wieder zurück zur Malerei.
Bis 13.6., Di.–Fr. 14–18.30, Sa. 11–14 Uhr, Niebuhrstraße 2
Die Kategorien, nach denen die AG Fotografie des NGBK ihre Ausstellung zusammengestellt hat, sind erstaunlich locker gefaßt. Im Kunstamt Kreuzberg, Mariannenplatz 2, werden „Gesichter“ gezeigt, weil das „Physiognomische in der zeitgenössischen Fotografie“ hoch im Kurs steht; und in der Oranienstraße 25 gibt es „Dinge“ zu sehen, weil im Foto die „scheinbare Banalität“ des Alltags transzendiert wird. Anders gesagt: Ein Foto ist, was es darstellt oder was man sich hineindenkt.
Aus diesem Minimal-Konsens ergeben sich Probleme: Gleich neben die „Verbrecherporträts“ von Jens Liebchen wurden Aufnahmen der New Yorker Photo Archive Group gehängt, die zum Tode verurteilte Gegner des Pol- Pot-Regimes zeigen, darunter auch Kinder. Die Kombination aus gefaktem Fahndungsfoto und Vernichtungsdokumenten ist entweder dumpfe Propaganda oder ein unüberlegter Zynismus, der im Katalog noch verstärkt wird, indem von der Tötungsmaschinerie dazu übergegangen wird, daß es auf Fotos von Thomas Michalak auch irgendwie ums Sterben geht – Michalaks Bilder sind in Plastikfolien geritzt, die Gesichter fallen als Schatten an die Wand.
Die Abteilung „Dinge“ ist sensibler arrangiert. So wurden etwa Christopher Mullers szenische Gebrauchswelten aus Hackbrett, Cola-Büchse und Bügeleisen den vermüllten Jugendzimmern von Stefan Exler gegenübergestellt. Unglaublich sicher setzt auch David Moore für seine „Pocket Fiction“-Serie das Blitzgerät ein, um die Mitbringsel auf der Handfläche von Passanten in einem punktgenauen Lichtkegel zu fotografieren. Am hellsichtigsten durchdacht sind aber die allegorischen Fotos von Olivier Richon, der Tintenfische oder Karpfen auf Samtdecken präsentiert wie lächelnde Babys.
Bis 21.6., täglich 12–18.30 Uhr Harald Fricke
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen