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Schauspiel gegen Autoritäten

■ In Wilhelmshaven will die Schauspielerin Elke Münch Jugendliche aufrütteln /Ignaz Bubis übernimmt Schirmherrschaft fürTheaterexperiment

Keine Stadt hat bei Niedersachsens Landtagswahl so rechts gewählt wie Wilhelmshaven. Die Republikaner erhielten über acht Prozent der Stimmen. Jetzt inszeniert die Wihelmshavener Schauspielerin Elke Münch mit einem Künstlerteam ein brisantes Theaterstück, um Jugend und Erwachsene wachzurütteln. Auch in Sachsen-Anhalt sind Aufführung geplant.

Er besucht dieselbe Schule wie Adolf Hitler. 1932 Eintritt in die NSDAP. Vier Jahre später Versetzung zum Judenreferat, nach Kriegsbeginn 1939 dessen Chef. In den SS-Personalakten wird er von Vorgesetzten als selbstbewußter, korrekter SS-Mann beschrieben. Rassisches Gesamtbild: „nordisch – dinarisch“; besondere Fähigkeiten: Verhandeln, Reden, Organisieren. Ein Freund über ihn: „Subaltern, pedantisch und ordnungsliebend. Verkroch sich immer hinter seinem Chef.“

Die Rede ist von Adolf Eichmann. Über dessen Schreibtisch gingen Millionen von Todesurteilen gegen Juden. Auf sein Geheiß wurden Juden vergast.

Szenenwechsel. Das Milgram Experiment: Zwei Leute betreten einen Versuchsraum. Der Versuchsleiter bestimmt den einen zum Lehrer, den anderen zum Schüler. Der Lehrer ist die eigentliche Testperson. Der Schüler ist in den Versuch eingeweiht und spielt seine Rolle nur. Er wird an einen Stuhl gefesselt – an seinem Handgelenk eine Elektrode. Er muß Wortreihen lernen. Jeden Fehler soll der „Lehrer“ mit Stromschlägen bestrafen und bei jedem Fehler steigt die Stromstärke – bis zur tödlichen Dosis. Je höher die Voltzahl, desto lauter protestiert der Schüler, bis er nur noch wimmert. Immer, wenn die Testperson zögert, fordert ihn der Versuchsleiter eindringlich zum Fortfahren auf. Ziel des Experimentes ist es herauszufinden, wie weit ein Mensch geht, wenn ihm befohlen wird, einem Opfer Qualen zuzufügen. Wann wird die (Test)Person sich gegen die Autoriät eines Versuchsleiter auflehnen?

Zum 60. Jahrestag der „Reichs-progromnacht“ und zum 50. Jahrestag des Bestehens des Staates Israel plant das Kulturzentrum Pumpwerk in Wilhelmshaven die Aufführung des brisanten Stückes „Das Eichmann Experiment“ von Tilmann Hanckel (Kulturattaché an der deutschen Botschaft in Den Haag), der für dieses Stück 1991 mit dem Dramatikerpreis der deutschen Theatergemeinde ausgezeichnet wurde. „Das Eichmann Experiment“ verbindet den millionenfachen Schreibtischtäter Adolf Eichmann mit den Experimenten des Amerikaners Stanley Milgram. Elke Münch inszeniert das Stück mit herausragenden SchauspielerInnen wie Bruno Peters, dem Hauptdarsteller der Uraufführung 1992, und mit jugendlichen Laien.

Das Projekt steht unter der Schirmherrschaft des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, und des Niedersächsischen Wissenschafts- und Kulturministeriums.

„Als ich dieses Stück gelesen hatte, wußte ich, daß ich es spielen mußte“, sagt Elke Münch (1985 als die beste norddeutsche Schauspielerin ausgezeichnet). „Das Eichmann Experiment“ sei das Stück, um Jugendliche mit Rechtsextremismus, Autorität und Gehorsam zu konfrontieren. Als Münch ihre Idee im Kulturzentrum Pumpwerk vorstellte, war sie über die Reaktion dort baff: „Machen wir“, sagte der Zuständige, Stefan Leimbrinck, sofort.

Obwohl die Premiere des Theaterstücks erst am 8. November, dem Vorabend der „Reichskristallnacht“ stattfindet, beginnen die Vorbereitung bereits jetzt. Wilhelmshavener Schulen sollen in das Projekt einbezogen werden; auch die Bundeswehr soll im Rahmen der politischen Bildung dabei sein. Wenn am Ende eines Theaterabends das Stück unwichtig würde, habe sie ihr Ziel erreicht, sagt Elke Münch. „Die Diskussion muß sich um Probleme von heute drehen.“

In den Sechzigern waren die Ergebnisse der Experimente von Stanley Milgram mit Bestürzung aufgenommen worden. Zwei Drittel der „Lehrer“ hatten ihren „Schülern“ wegen der „Fehler“ einen tödlichen Stromstoß gegeben. Sie hatten dem Versuchsleiter gehorcht. Die Untersuchung hatte gezeigt, daß eine Unzahl von Menschen auch grausamsten Anweisungen vermeintlicher Autoritäten folgen.

Adolf Eichmann flüchtete nach Kriegsende nach Argentinien. 1969 wurde er vom israelischen Geheimdienst nach Israel entführt. Ein Jahr später ist er in Israel wegen Verbrechen gegen das jüdische Volk zum Tode verurteilt worden. 1962 wurde das Todesurteil vollstreckt. Kurz zuvor sagte er: „Ich habe mit reinem Gewissen und treuem Herzen die Pflicht getan, die mir auferlegt wurde. Ich war immer ein guter Deutscher. Ich bin auch heute noch ein guter Deutscher und werde immer ein guter Deutscher sein.“ Samuel Klar

Innteressierte können sich für Informationen an das Pumpwerk in Wilhelmshaven wenden. Tel.: Tel.: 04421/43877.

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