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Maulkorb für Justizbedienstete

■ Sozialarbeiter aus dem Tegeler Knast durften nicht am Kongreß "gegen Abschiebung aus oder nach der Haft" teilnehmen. Die Begründung: Sich dazu zu äußern stehe ihnen nicht zu

Ein offenbar gestörtes Verhältnis zur Demokratie hat die Senatsjustizverwaltung bewiesen. Sozialarbeitern des Tegeler Knastes wurde kurzerhand die Teilnahme am Kongreß „gegen Abschiebung aus oder nach der Haft“ untersagt. Begründung: „Als Behörde des Landes Berlin steht es uns nicht zu, in eine Problematik, die in den Zuständigkeitsbereich einer anderen Landes- oder Bundesbehörde fällt, einzugreifen bzw. diese im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung zu diskutieren.“

Der mehrtägige Kongreß „Aktion Jericho – Mauern müssen fallen“ war Mitte Mai von Pax Christi organisiert worden. Im Mittelpunkt stand eine Frage, die nicht nur von Abschiebung betroffenen Inhaftierten auf den Nägeln brennt, sondern auch den Sozialarbeitern in den Knästen: „Ist Resozialisierung in eine unbekannte Gesellschaft als Vollzugsziel möglich?“

Ein Drittel der rund 5.000 Gefängnisinsassen in Berlin sind Ausländer. Nach Angaben von Knast- Experten ist die Mehrzahl von ihnen von Abschiebung bedroht. Bei über 50 Prozent erfolge die Abschiebung nach Verbüßung einer Teilstrafe unmittelbar aus der Haft heraus. Die Justizpressestelle vermochte diese Zahlen in Ermangelung einer Statistik nicht zu bestätigen. In Deutschland geboren zu sein ist laut Ausländergesetz ebensowenig ein Hinderungsgrund für die Abschiebung, wie in Berlin verheiratet zu sein und Kinder zu haben. Das einzige, was zählt, ist die Länge der Strafe: Bei bis zu drei Jahren „kann“ abgeschoben werden, bei drei bis fünf Jahren heißt es „soll“, danach sei Abschiebung ein Muß, wissen Experten.

Der Auftrag des Strafvollzugsgesetzes, den Insassen in der Haft auf ein straffreies Leben in sozialer Verantwortung vorzubereiten, wird durch das Ausländergesetz „konterkariert“, sagt Traudel Vorbrodt von Pax Christi. Wegen der drohenden Abschiebung ist die Mehrzahl der ausländischen Insassen von Resozialisierungsmaßnahmen ausgeschlossen. Im Tegeler Knast werden sie zum Beispiel nicht in den Werkstätten der Ziegner-Stiftung ausgebildet, weil sie nach ihrer Entlassung nicht dem hiesigen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen können.

Diese Probleme und noch viel mehr sollten auf dem Kongreß erörtert werden. „Einige Mitarbeiter aus Tegel hatten großes Intresse“, erklärt Traudel Vorbrodt. „Wir wollten nach Ansätzen suchen, was man bei sozialen Härten tun kann.“ Doch dazu kam es nicht. Justizsprecherin Svenja Schröder begründete die von Justizsenator Ehrhart Körting (SPD) ausdrücklich gebilligte Absage damit, die Innenverwaltung sei für das Thema Abschiebung zuständig. „Es steht den Mitarbeitern der Justiz nicht zu, sich dazu zu äußern.“ In Knast-Sozialarbeiterkreisen wird dies als „völlig unverständliche Reaktion“ bezeichnet. Plutonia Plarre

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