: Patt der Klassiker in Kolumbien
Der Liberale Horacio Serpa und der Konservative Andrés Pastrana müssen in die zweite Runde. Die Unabhängige Noemi Sanin wird zum Zünglein an der Waage ■ Aus Bogotá Ingo Malcher
Es war ein Fotofinish. Am Ende hatte der Kandidat der Liberalen Partei, der ehemalige Innenminister Horacio Serpa, nur einen Vorsprung von wenigen Millimetern gegenüber dem Konservativen Andrés Pastrana. Serpa brachte es auf 34,6 Prozent der Stimmen. Pastrana konnte 34,3 Prozent einheimsen. Beide müssen jetzt in die Stichwahl. Die unabhängige Kandidatin Noemi Sanin schaffte es nicht, einen der beiden Männer vom Sockel zu stoßen, kam aber auf stolze 26,8 Prozent.
Im Nobelhotel Tequendama im Zentrum Bogotás war Feiern angesagt. Die Anhänger Serpas strömten in den Roten Salon des Hotels, immer wieder kreischten sie in Sprechchören „Ser-pa, Ser-pa, Ser-pa“. Doch der ließ sich Zeit zu erscheinen, und als er endlich kam, machte er es kurz. „Ich freue mich sehr, daß sich sämtliche Umfragen geirrt haben“, begann er seine ganze 3 Minuten und 15 Sekunden lange Rede. In der Tat hatte Serpa niemand vorausgesagt, daß er als erster über die Ziellinie gehen werde, der zweite Platz schien ihm sicher. Manche Umfragen stellten ihm sogar in Aussicht, daß er sich mit Noemi Sanin um den Einzug in die zweite Runde streiten wird. Serpa hat es anscheinend geschafft, die Wähler davon zu überzeugen, daß er mit der Politik des scheidenden Präsidenten Ernesto Samper nichts mehr zu tun hat. Die Erleichterung über das gute Abschneiden war ihm anzumerken, und er fing sogleich an auszuteilen. Der „konservative Kandidat“ verspreche „ein besseres Land“. Das wolle Serpa auch, dann machte er eine Pause, um danach zu brüllen: „Aber für alle!“ Tosender Beifall und wieder: „Ser-pa, Ser-pa, Ser-pa.“ Die Liberalen trugen rote Hemden in den Parteifarben, manche klebten sich dicke Schnauzbärte unter die Nase, wie ihr Chef einen stehen hat. Und der fischte noch in der Wahlnacht nach Unterstützern für den zweiten Wahlgang und lobte den Achtungserfolg von Noemi Sanin. Er versprach, daß es sein wichtigstes Ziel sei, „den Frieden zu erreichen“.
Weiter oben im reichen Norden der Stadt hat Pastrana sein Wahlkampfquartier in einem alten Kloster aufgeschlagen. Im weiten Innenhof zwischen vielen Pflanzen sticht ein riesen Plakat sofort ins Auge: „Der Wechsel jetzt“, fordert darauf Pastrana. Immer wieder hat er im Wahlkampf gesagt, er wolle es im ersten Wahlgang schaffen, aber das hat er vermutlich selbst nicht geglaubt. An der Straße vor dem Haus kurven Pastrana-Fans im Autokorso um das Kloster, mit Tesafilm sind Plakate der „Allianz für den Wechsel“ auf die Motorhauben geklebt. „Die Mehrheit hat dagegen gewählt, daß es so weitergeht“, sagte Pastrana und lud damit Noemi Sanin ebenfalls ein, ihn im zweiten Wahlgang am 21. Juni zu unterstützen.
Noemi Sanin wurde damit zur begehrtesten Frau des Abends. Ohne durchorganisierten Apparat erreichte sie so viele Stimmen, wie noch niemals ein drittplazierter Kandidat erhalten hat. Sie kann so entscheiden, wie der nächste Präsident des Landes heißen wird.
Die Wahlbeteiligung lag bei 51 Prozent, was für kolumbianische Verhältnisse recht hoch ist. Insgesamt waren 3.500 Soldaten im ganzen Land im Einsatz, um die Wahllokale zu bewachen. Während die Wahllokale noch geöffnet waren, kam ein Friedensangebot des Nationalen Befreiungsheeres (ELN), der zweitwichtigsten Guerilla Kolumbiens. Überbracht wurde es von dem Abgeordneten Eliézer Meneses, der zehn Tage lang in den Händen der ELN war. Die Guerilla will, daß Deutschland, Frankreich, Spanien und mehrere zentralamerikanische Länder an den Verhandlungen teilnehmen. Außerdem sollen die Kirche, die Gewerkschaften und die Intellektuellen Kolumbiens in die Gespräche einbezogen werden. Bereits vor den Wahlen hatte auch die größte kolumbianische Guerilla, die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC), dem nächsten Präsidenten ein Friedensangebot gemacht.
Dennoch kam es bei den Wahlen zu gewalttätigen Zwischenfällen, bei denen insgesamt zwölf Menschen ums Leben kamen. Bei dem Angriff von Guerilleros auf einen Panzerwagen der Polizei in der Stadt Barrancabermeja im Osten des Landes starben drei Zivilisten, berichtete der Radiosender Radio Caracol. In der Provinz Santander, ebenfalls im Osten des Landes, erschossen vier Unbekannte vier Wähler. Danach verbrannten sie eine Wahlurne und entführten vier weitere Menschen. In der selben Provinz entführte die ELN 19 Wahlhelfer. Als Mitglieder der FARC in der Nordprovinz Cordoba Wahlurnen klauen wollten, kam es zu einem Schußwechsel zwischen Guerilleros und Polizei, bei dem ein Polizist getötet wurde. In Medellin wurde eine Fernsehjournalistin entführt. Innenminister Alfonso Lopez zeigte sich dennoch zufrieden, denn die Wahlen seien ruhiger als sonst über die Bühne gegangen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen