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Platz zwei bei Vergewaltigungen

■ Spiel der Zahlen: Bremen „gefährliches Pflaster“ oder Vorbild?

Glaubt man der neusten Ausgabe des Wochenmagazins „Stern“, so ist Bremen vor allem für Frauen ein „gefährliches Pflaster“. Mit Daten des Bundeskriminalamtes wurde eine Statistik über Straftaten in Städten mit über 200.000 EinwohnerInnen erstellt. Danach liegt Bremen im bundesweiten Kriminalitäts-Vergleich auf Platz zwölf. Bei Vergewaltigungen steht die Hansestadt nach Leipzig sogar auf Platz zwei: Pro 100.000 EinwohnerInnen wurden hier 22,8 Fälle registriert.

„Für uns ist das eher eine Bestätigung der guten Zusammenarbeit mit den ermittelnden Stellen“, erklärt Kriminaloberrat Michael Steines, zuständig für die Bremer Kriminalstatistik. Denn gerade bei Vergewaltigungen sagen Statistiken wegen hoher Dunkelziffern wenig aus. Platz zwei ist für Steines daher „ein Ausdruck der hohen Anzeigenbereitschaft bei Vergewaltigungen in Bremen“.

Schon 1993 war der Senat nach der Veröffentlichung einer ähnlichen BKA-Statistik zu dieser Erklärung gelangt. Margot Siegert, Diplompsychologin beim „Notruf und Beratungsstelle für vergewaltigte Frauen“, teilt die Interpretation. „In Bremen wird es rein formal sehr leicht gemacht, Vergewaltigungen anzuzeigen.“ Auch Charlotte Neubert, die im Sonderdezernat für Sexualstraftaten bei der Staatsanwaltschaft arbeitet, erklärt sich die hohe Position im Ranking damit daß „Bremen bundesweit Vorreiter bei der opfergerechteren Behandlung von Sexualstraftaten war. Staatsanwaltschaft, Kriminalpolizei, Krankenhäuser und Frauen-Notruf arbeiten in der Hansestadt eng zusammen. So werden die Frauen, die eine Vergewaltigung anzeigen, nur einmal befragt, haben kontinuierliche Ansprechpartner und können bei den Behörden durch Vertrauenspersonen begleitet werden. Außerdem haben die Frauen freie Arztwahl bei den Untersuchungen, psychosoziale Betreuung wird vermittelt.

Die Zahl der angezeigten Vergewaltigungen ist in Bremen mit starken Schwankungen konstant – warum in einem Jahr mehr, im anderen Jahr weniger Anzeigen eingehen, kann niemand genau erklären. Zwischen 100 und 170 Anzeigen im Jahr verzeichnet die Statistik. 1996 waren im Land Bremen 108 Fälle von Vergewaltigung angezeigt worden, 1997 waren es 152.

„Mit Statistiken können sie viele Dinge betreiben“, so Kriminalstatistiker Steines. „Wenn wir weniger Hilfe anbieten würden, wäre die Statistik für uns besser“. Denn dann gäbe es weniger Anzeigen.

cd

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