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Die drei Fragezeichen oder: Vor dem Spiel ist Endspiel

1.

O – und es sprach im kicker Sonderheft WM 98

Der Chef, und er sprach:

„Lothar Matthäus geisterte zum Zauberwort

Für eine Fußball-Nation mit fast fanatischen Befürwortern

Und strikten Gegnern.“

Und wir verstanden nicht, denn es war

Holzschuh. Es war Holzschuh, welcher

Da auch sprach: „Vogts hat um die Auswahl

Seiner 22 Kandidaten

Hart gerungen.“

Und es war das Editorial.

2.

Und wir blätterten weiter, und wir sahen

Karlheinz Wild, und er schrieb: „Matthias Sammers lang- und Olaf Thons kurzfristige Verletzung (Knie bzw. Bänderriß) haben das unwahrscheinlichste und deshalb spektakulärste Comeback der deutschen Nationalelf-Geschichte allseits bestaunte Wirklichkeit werden lassen.“

Und wir verstanden, und wir freuten uns, und wir waren froh.

3.

Und wir blätterten wieder retour, und unsre

Gewißheit, es werde mit Lothar unser Team den

Lorbeerkranz so grün und den Cup so gülden

Davontragen, ward zerstört. Ward gedämpft durch

Eine Überschrift,

Und die lautete:

„Aus Erfahrung gut?“

Jetzt schon die Flinte ins Korn werfen?

„Am 10. Juni, wenn der

Anpfiff zur WM ertönt,

Wird's ernst“, stand gleich darunter, und

Wir faßten neuen Mut. Und wir glaubten etwas

Fester nun daran, das Endspiel zu erreichen.

Vielleicht würden wir das Endspiel ja gewinnen gar. Gegen

Argentinien vielleicht. Vielleicht gegen England. Und wir

Würden alle Spiele verfolgen, bis das Endspiel stattfände, alle

Begegnungen, auch die Spiele der Wüstensöhne und des Muselmanen.

Denn „auch der Welt-Fußball

liegt voll im Trend der Zeit: Immer mehr,

Immer länger.“

Und wir lasen: Es „sind nur vier wirkliche Neulinge: Südafrika,

Jamaika, Japan und Kroatien“. Und wir lasen, der Welt-Fußball werde

Auch getreten von der Politik. „Bei letzteren beschränkt sich

Das ,Neu' lediglich auf den Namen“, und die Arbeitermacht,

Das wußten wir, lag lange schon schlimm darnieder: „Die

In 15 Länder zerfallene Sowjetunion ist bei der WM 98

Überhaupt nicht dabei...“

Und wir dachten zurück an Jaschins Flüge

1966, an Rudi Michels Rede und an den

Halbfinalsieg, ein schönes Spiel. Und „die

Südamerikaner gewannen vier WM-Turniere, mehr

Als irgendeine andere Mannschaft“, aber sie taten sich, ohne

Pelé und Garrincha, auf europäischen Gründen

Stets sehr schwer, sie könnten bald ausscheiden und

Heimfliegen. Doch haben sie, wußten wir da, einen, den

Nennen sie Ronaldo, „es sind“, erklärte uns

Der kicker, „seine überraschenden Einfälle,

Mit denen er Spiele wieder flottmachen kann. Der Eindruck, er würde nicht viel tun während

Des Spiels, stimmt ja nicht.“

Und wir nickten, und wir ärgerten uns und sorgten uns, Ronaldo könnte

Zu oft, allzuoft treffen, und Lothar hätte das Nachsehen, der

Fünffache gepriesene Teilnehmer, dessen Schuß gewaltig und

Dessen Antritt noch immer feurig.

Und wir lasen mehr. Wir lasen eine Spalte, wir lasen eine zweite Spalte, wir lasen die dritte,

Wir lasen: Er, Ronaldo, „vor allem nährt er die Hoffnungen“,

er nährt Siegessehnsüchte

Seines Trainers und seines Verbandes, aber man soll

Die anderen nicht vergessen. Das war klar.

„Die Mannschaft des Veranstalterlandes“, lasen wir, „wächst meist,

Angefeuert von den heimischen Zuschauern,

Über ihr gewohntes Leistungsvermögen

Hinaus“, und wir lasen: „Italien

Wird in allen Diskussionen

Genannt“, und wir lasen:

„Südamerikas Qualifikationssieger

Argentinien kann sich

Großer Aufmerksamkeit erfreuen.“

Und wir lasen:

„Allerdings muß es auch

Bei einer Weltmeisterschaft

Nicht immer so sein,

Wie es war.“

Und wir hofften, und wir blätterten um.

Und da sahen wir, wie er

Geschrieben hatte und wie sein Wort

Gestalt hatte und wie er meinte:

„Wir haben wahrscheinlich

Die älteste Mannschaft des Turniers.“

Und wir verzagten erneut. Und „doch“,

Bedachte er, „das hat auch etwas Positives an sich:

Wir verfügen über einen großen Kreis

Erfahrener Spieler, generell und auch speziell

Bei WM-Turnieren“, und das

Stimmte.

Und wahr war sein Wort: „Unsere Mannschaft [...] hat das Zeug, im Konzert der Weltbesten

Eine tonangebende Rolle zu spielen.“ Und

Wahr war und wahr ist: „Sie ist verpflichtet, ihre Ziele hoch zu stecken.“

Und aber wußten wir auch, da er sann: „Aber niemand kann eine Garantie abgeben.“

Denn, das wußten wir so gut wie er, „zunächst

Einmal muß sie in ihrer Gruppe bestehen.“

Denn „die ganze Konzentration

Darf immer nur dem nächsten Schritt

Gelten.“ Denn

„Wer schon vom übernächsten Schritt redet,

Wird beim nächsten schon auf die Schnauze fallen.“

Das schrieb er, und es stimmte.

„Siehe unsere Erfahrungen bei der

WM 1994 in den USA“, siehe den Halunken

Stoitch- und siehe den Lumpen HSVkov, und siehe,

Er gab uns recht: „Ergebnis

Noch in aller Erinnerung...“

Und also rüsteten wir uns und

Gingen wir in uns, und wir lasen noch ein

Stück, und wir stimmten ihm zu. Denn

Er hatte geschrieben: „In jedem Spiel

Trifft man auf einen Gegner,

Der sich ebenfalls darauf vorbereitet

Und sich etwas vorgenommen hat.“

Und wir priesen still seinen Namen

Und dankten ihm, daß er seinen Scheinwerfer

Auf uns geworfen hatte und sich und auch

Uns wünschte: „Hauptsache, es wird Fußball gespielt.“

Und es werde gespielt bis zum Schluß, denn

„Abgerechnet wird erst am Schluß, der

Neue Weltmeister steht frühestens

Am Sonntag, 12. Juli, 22.45 Uhr fest. Es kann

Aber auch noch um einiges

Später werden: Wenn es eine Verlängerung

Gibt, ein ,Golden Goal' oder gar erst ein

Elfmeterschießen

Entscheidet.“

Und es stand ein Kasten unten drunt,

Und der Kasten zeigte

Die Weltmeister seit neunzehnsechsundsechzig

Und fragte: „Steht der Weltmeister 1998 schon fest?“

Und es stand aber bloß

Geschrieben neben der

Zahl 1998: „???“Jürgen Roth

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