ICE mit Tempo 200 gegen Brückenpfeiler geprallt

■ Schwerstes Zugunglück seit Jahrzehnten. Bis zu 100 Tote und mehr als 300 Verletzte. Unglücksursache noch ungeklärt. Erste Ermittlungen deuten auf Autounfall

Eschede (rtr/dpa/AP) – Bei einem der schwersten Zugunglücke in der Geschichte der Bundesrepublik sind am Mittwoch bei Celle bis zu 100 Menschen getötet worden. Bis zum Abend wurden von den mehr als 700 Helfern 65 Leichen geborgen, die Arbeiten dauerten noch an. Etwa 300 Fahrgäste wurden zum Teil schwer verletzt.

Ein Hochgeschwindigkeitszug der Deutschen Bahn AG entgleiste gegen 11 Uhr bei Tempo 200 und raste gegen eine Brücke, die durch den Aufprall einstürzte. Unklar blieb zunächst, ob ein von der Brücke gestürztes Auto die Katastrophe ausgelöst hatte. Auch sollen an der Unglücksstelle Gleisbauarbeiten durchgeführt worden sein. In den Trümmern wurden weitere Opfer vermutet. Etwa 100 Personen sollen das Unglück unversehrt überstanden haben, darunter auch der Zugführer.

Das Unglück ereignete sich am Vormittag rund 500 Meter vor dem Bahnhof des kleinen Ortes Eschede. Der ICE 884 „Wilhelm Conrad Röntgen“ fuhr von München nach Hamburg. Nach Angaben des niedersächsischen Innenministeriums entgleiste der Zug, nachdem er auf das von der Brücke gestürzte Auto aufgeprallt war. Der Wagen soll in einen Verkehrsunfall verwickelt gewesen und durch das Geländer gebrochen sein. Während die ICE- Lok passieren konnte, rasten die folgenden zwölf Waggons gegen die Brücke.

Der Polizeisprecher Joachim Lindenberg sagte dagegen in der ARD, bei dem Fahrzeug, das unter den Trümmern des ICE liege, handele es sich um ein Fahrzeug der Deutschen Bahn. Der Wagen habe offensichtlich auf der Brücke gestanden und sei erst durch den Einsturz auf die Gleise gefallen. Bahn-Bedienstete hätten an den Gleisen gearbeitet und sich zurückgezogen, als der ICE nahte. Als die Brücke einstürzte, hätten sie aber „keine Chance“ gehabt. Lindenberg sagte, die genaue Ursache des Unglücks sei weiterhin unklar.

Die Zugtrümmer türmten sich meterhoch und mußten mit Kränen auseinandergezogen werden. Von einigen Waggons blieben nur die Fahrgestelle übrig, die Aufbauten waren förmlich abrasiert. Andere Wagen waren in der Mitte geborsten. Viele Tote und Verletzte konnten erst nach dem Einsatz von Schweißgeräten aus den ineinander verkeilten Waggons geborgen werden. „Ich habe Leichenteile gesammelt – von Frauen, Männern und Kindern“, sagte ein Feuerwehrmann.

Der unverletzt gebliebene Fahrgast Wolf-Rüdiger Schlibener sagte, er habe zwei Minuten vor dem Unglück ein unheimliches Rattern bemerkt. Als der Zug gegen die Brücke prallte, seien Koffer und Sachen umhergeflogen. Da er die Waggonfenster nicht habe zertrümmern können, habe er gemeinsam mit einem Schaffner versucht, eine verbogene Tür zu öffnen. Dies sei schließlich gelungen.

Die Katastrophe ist der zweite ICE- Unfall überhaupt und das schlimmste Zugunglück in Deutschland seit dem 6. Juli 1967: Damals war bei Magdeburg ein Tanklastzug wegen einer nur halb geschlossenen Schranke von einem Zug erfaßt worden und explodiert. 94 Menschen starben. Tagesthema Seite 3