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Kann Ihr Schreibtisch Ihnen folgen?

■ Nein? Wie traurig. Dann klicken Sie mal ins Internet, zum Möbelshopping. Zwar funktioniert auch dort noch längst nicht alles, aber Wohneindrücke aus exibitionistischen WGs gibt's allemal

Wie von Geisterhand bewegt schwebt die Standuhr durch das Wohnzimmer, ein zwei Meter hohes Ungetüm aus Edelstahl. Elegant landet es neben dem Sofa. „Nicht dort, lieber am Fenster!“ Die Uhr tut, wie ihr geheißen. „Und vielleicht doch lieber gelb!“ Der stählerne Glanz des Chronometers weicht gelbem Lack. „Die ist es!“ Ein Mausklick schließt das Fenster zum virtuellen Wohnraum, klick, die Bestellung. Fertig.

Der Traum vom Bummel am Bildschirm: die Heimstatt als Modell im Rechner, authentisch in Wandfarbe und Einrichtung. Objekte lassen sich darin umherbewegen; Form, Farbe und Standort bestimmt der Zeigefinger.

Doch die Suche nach Angeboten im Internet beginnt frustrierend: „Psssst! Noch geheim!“ www.design.de hüllt sich in Schweigen. Die Suchmaschine www.yahoo.de verrät den Code in den Pixelolymp des Möbeldesigns: Web.de, größter deutscher Online- Katalog, versammelt die Götter der Branche – der Pfad führt über Wirtschaft/Branchen/Möbel zu Designmöbeln. Zweidimensional thront hier der Drahtstuhl Lady D (www.kopfstand.mobiliar.com), ein Star aus dem ins Netz gestellten Katalogangebot. Blättern ginge schneller. Der Auftritt von (www.)Vitra(.com) ist da anders: In plakativ eingefärbtem Bauhaus- Layout saust eine Blondine auf ihrem Bürostuhl um einen Tisch: „Kann Ihr Schreibtisch Ihnen folgen?“ Kann er nicht, zumindest nicht in eine virtuelle Wohnung. Dazu sind erweiterte Sprachkenntnisse vonnöten, denn „am Anfang war das Wort“: Mit VRML, der virtual reality modeling language, wird jeder zum Schöpfer von „Welten, in denen man sich in Echtzeit bewegen kann“, so Florian Klein, der auf seiner homepage (www.florian.rdklein.de) einen Sprachkurs anbietet, der den Umgang mit vrml-Dateien erleichtert. www.vrvision.com zum Beispiel: Ein wuchtiger Tisch hängt in der Schwebe, die Beine aus Massivholz tragen eine Glasplatte. Viele Blickwinkel stehen zur Wahl, deren Anklicken den Tisch nach einer festgelegten Choreographie drehen, schwenken oder abtauchen lassen. Allein, das fliegende Möbel ist nicht abspeicherbar; wohin auch?

Eine mögliche Lösung liefert (www.)Data-Becker(.de): Der 3D- Wohndesigner 2.0 ist eine CD- ROM: „Mit Vollgas durch die Traumwohnung!“ Per Mausklick können Bodenbeläge, Tapeten und Bezüge ausgewechselt werden. Im Internet gibt es diese Möglichkeit allerdings noch nicht.

Daß sich dennoch über das Netz dreidimensionale Wohneindrücke vermitteln lassen, beweist die Homepage zweier Münchener Graphiker: Ihre WG steht jedem Besucher offen, der sich unter http.208.2625178/tdocde/mic einwählt. Eine exhibitionistische Veranlagung? Vielleicht ist das Ganze nur eine Ausrede für Männer, die endlich einmal mit einem eigenen Puppenhaus spielen wollen. Andreas Leipelt

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