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Tischleinstreckdich auf Bestellung

Kreuzritter von Qualität und Behaglichkeit versus Billigheimer im Einheitslook: Die Katalogwelt ist kunterbunt und trotzt tapfer dem Trend zum Erlebniskauf. Auf den Bummel durch die bunten Seiten gemacht hat sich  ■ Gunnar Leue

Beim Geldausgeben geht der Trend immer noch zum Erlebniskauf. Wieso aber gibt es dann den Katalog? Oder was hat der, was das Einrichtungshaus nicht hat? Nun, er ermöglicht Warenbeschau ohne Hektik, man kann dabei die Füße hochlegen und sich, wenn man denn will, nebenher betrinken.

Ein bißchen kommt es darauf an, welches Buch der Konsumliteratur man auf dem Schoß hat. Denn Kataloge gibt es zuhauf, und nicht alle gleichen sich wie ein Ei dem andern. Sollte es zum Beispiel der Katalog „Manufactum“ sein, könnte man beim Anblick von 17.550 Mark für ein dreisitziges Mogensen-Sofa schon einen großen Schluck brauchen. Das allerdings ist wirklich die Spitze des Preisberges in dem von einer „gewissen ,fortschrittsskeptischen‘ Grundhaltung im Konsumgüterbereich“ durchdrungenen Druckwerk. Konsequent offeriert es die fast vergessenen „guten Dinge“, die großen alten Klassiker des Designs mit hoher Qualität. Mit exklusivem Interieur sagen die Kreuzritter der Behaglichkeit Billigheimern und postmodernem Schnickschnack den Kampf an.

Die Anbieter von „Car Selbstbaumöbel“ setzten dem Designüberdruß eine, zuweilen arg nüchterne Qualitätsstrategie entgegen, die zwischen gediegenem Flair und schöner Einfachheit hin und her trudelt. Die Norddeutschen verbündeten sich mit Zeitschriftenredaktionen, um „zeitlose außergewöhnliche Möbelstücke“ zu entwerfen. Das meiste ist handgefertigt, wobei der Katalog nicht nur Ware feilbietet, sondern auch Anmut in den Begleittexten kultiviert: „Wenn Sie mal so richtig etwas auf die Beine stellen wollen, dann empfehlen wir unsere edlen Buchenholzsäulen.“ Oder ein „Tischleinstreckdich“. Wer trotzdem nicht weiterweiß, dem helfen Tips wie dieser: „Auf diesem Konsoltisch zum Selberlasieren kann man Deko-Objekte in Szene setzen oder auch Getränke abstellen.“ Na also.

Die Poesie des stilvollen Wortes erschlafft freilich bei der Bezeichnung der Modelle. Namen wie HOTINM 2S klingen eher nach Industrienorm als nach der versprochenen Individualität, die sich beim fertig montierten Wandschrank durch Selberanmalen noch erhöhen lassen soll. Versprochen wird ein müheloser Aufbau der Möbel, wie überall.

Bei Ikea, der Kultmarke für statusunbewußte Selbstbaufans, wird solcherlei zum Lustprinzip: „Macht Spaß und spart: Selbermachen!“ Die Schweden setzen vor allem auf die Freude an schlichten Formen und Formeln. „Demokratisches Design = gutes Design + hohe Funktionalität + niedriger Preis“ klingt zwar bescheuert, aber immerhin eindeutig. Im Gegensatz zur entwaffnend provokanten Werbezeile für ein Schlafzimmer: „Ist es das, wovon Sie schon immer geträumt haben? Willkommen in der Realität.“

Die sieht bei „Cairo“ schon anders aus, denn der Büro-Designer- Katalog spielt in einer höheren Preis-Liga, um die „richtige Mischung aus Trendsettern und Klassikern garantieren“ zu können. Gemischt werden etwa die legendäre Bauhaus-Tischleuchte Wagenfeld und der Leuchten-Lumibär, dessen Legendenstatus eher aus seiner Überpopulation in der gesamten Katalogwelt rührt. Einen Extra-Service bietet „Cairo“ seinen Kunden mit der bildlichen Darstellung des Verursacherprinzips. Die meisten Designer müssen nicht nur mit ihrem Namen herhalten, sondern auch mit ihrem Paßfoto. Nutznießer dieser Produktinformation, weil alleinige Adressaten von „Cairo“, sind nur Gewerbetreibende und Freiberufler. Freiberufler, die neben Rückenschmerzen auch Unterbezahlung drückt, dürften von Bürodrehsesseln zum Preis eines Motorrollers jedoch wenig haben und lieber in den Wälzern von „Otto“ schmökern.

Dort ist natürlich für Kunst kaum Raum und auch sonst alles ziemlich gedrängt, aber für eine einladend vom Bett lächelnde Blondine allemal noch Platz. Noch überwältigter fühlt sich der Betrachter von der Zahl der Hinweislables, die vom „Rundum Original-Bezug“ bis zu „Lieferung in umweltfreundlicher Mehrweg-Verpackung“ keine Fragen offenlassen. Daß in der Angebotswelt die Diktatur des Massengeschmacks regiert, liegt in der Natur der Zielgruppe. Die neue deutsche Spaßgesellschaft jedoch hinterließ kaum Spuren. Die Dominanz der Anbauwände, rustikal oder modern, und die Unsterblichkeit kunststoffbeschichteter Truhen- Eckbank-Gruppen scheint weniger Folge der Guildo-Horn-Manie als unvergänglicher Konsumentenliebe: Kitsch für Kitchen.

So zeigt der Katalog auch ein Stück Stabilität in den Modestürmen der Zeit. Die Frage nach dem Sinn des Nachschlagewerks beantwortet jedoch niemand so praktisch wie Ikea. Dessen Katalog bietet keine Bestellmöglichkeiten, dafür aber eine detaillierte Beschreibung für den Rundgang im realen Einrichtungshaus.

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