: Fund: 50.000 Becquerel
Strahlendes Transportgestell auf Abstellgleis entdeckt. Ministerium: „Bundesweites Phänomen“ ■ Von Peter Sennekamp
Berlin (taz) – Nicht konsequentes Handeln von Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU) gegenüber Reaktorbetreibern, sondern eine strahlenschutztechnische Überprüfung durch die Bahn AG brachte den jüngsten Kontaminationsfund ans Licht. Am Donnerstag fanden Mitarbeiter der Bahn und der hessischen Aufsichtsbehörden ein mit 50.000 Becquerel kontaminiertes Transportgestell für Atommüllbehälter auf einem frei zugänglichen Bahngelände in Darmstadt.
Vom bayerischen Atomkraftwerksbetreiber Bayernwerk war das Gestell zuvor freigemessen worden. Warum dabei dabei keine radioaktiven Partikel über dem Grenzwert von vier Becquerel festgestellt wurden, ist unklar. Offensichtlich hat Bayernwerk, von dem das kontaminierte Behältergestell aus dem AKW Grafenrheinfeld zur Verladestation in Gochsheim abgeschickt wurde, keine ausreichenden Messungen durchgeführt.
Als „bundesweites Phänomen“ bezeichnete inzwischen der Leiter der Abteilung Kernenergie und Strahlenschutz im bayerischen Umweltministerium, Rudolf Würle, den Fund. Angela Merkel, die noch zu Beginn des Atomtransport-Skandals eine verbesserte Selbstverpflichtung der Atominustrie propagiert hatte, sah sich gestern erneut Angriffen der umweltpolitschen Sprecherin der Grünen im Bundestag, Michaele Hustedt, ausgesetzt: „Merkel lehnt es ab, die Betreiber der Atomkraftwerke und die Transportfirmen auf ihre Zuverlässigkeit zu überprüfen“, so Hustedt. Sie warf Merkel ein „Aussitzen der Krise“ vor.
Vergleichbare Gestelle werden von der Atomindustrie an vielen AKW-Standorten zum Straßentransport des Atommülls zwischen Reaktor und Schienenanschluß verwendet. Darum besteht die Möglichkeit, daß auch weitere bei der Bahn geparkte Gestelle radioaktive Kontaminationen aufweisen. Die für den Atomtransport des Bayernwerks zuständige Firma Nukleare Transportleistungen (NTL) lehnte gestern jede Stellungnahme ab.
Mehrheitlich befindet sich die NTL im Besitz des RWE-Konzerns. Besitzerin des radioaktiven Behältergestells ist wiederum der französische Wiederaufarbeitungskonzern Cogema, der seit über zehn Jahren über sämtliche Kontaminationen an Atombehältern und Waggons informiert ist. Renate Gunzenhauser, Sprecherin im hessischen Umweltministerium, erklärte, die Analyse der radioaktiven Partikel lasse sicher darauf schließen, daß die Kontamination aus Atomkraftwerken stamme.
Gegen das RWE-Unternehmen NTL wurde inzwischen ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung und des Mißbrauchs ionisierender Strahlung eingeleitet. Inzwischen gestand auch der AKW-Betreiber Energie-Baden-Württemberg ein, 28 leere Waggons und Atombehälter seien radioaktiv in Philippsburg eingetroffen.
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