: Abrücken vom geschlossenen Weltbild
IG-Metall-Vize Walter Riester will als SPD-Arbeitsminister einen „Politikwechsel“ in Deutschland entscheidend mitgestalten. Er ist ein „linker Modernisierer“, der sich „nie mehr gestatten will, Realitäten auszublenden“ ■ Von Walter Jakobs
Darmstadt (taz) – 250 Gewerkschafter aus aller Welt hören dem SPD-Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder konzentriert zu. Doch so richtig überzeugt scheinen die Vertreter des Internationalen Metallarbeiterbundes vom Modell der „Teilhabegesellschaft“, das Schröder vor ihnen ausbreitet, nicht. Arbeitgeber, Staat und Gewerkschaften will Schröder durch ein neues „Bündnis für Arbeit“ wieder an einen Tisch bringen, um im Konsens die „Hauptaufgaben der volkswirtschaftlichen Akteure“ festzulegen.
Ein Bündniskonzept, das Schröder zwar als „das zentrale Projekt einer neuen Bundesregierung“ preist, das aber die Zweifel aus den Gesichtern der in Darmstadt in der vergangenen Woche versammelten Metaller nicht zu vertreiben vermag. Doch dann zieht Schröder sein Trumpfas aus dem Ärmel: „Besonders stolz und glücklich bin ich, daß Walter Riester mir helfen wird, ein solches Bündnis zustande zu bringen.“ Und schon rühren sich die Hände zum Applaus.
Der so gelobte stellvertretende Vorsitzende der IG Metall, der den Auftritt in den hinteren Reihen sitzend verfolgt, nimmt das Schröder- Kompliment ohne jede sichtbare Regung wahr. Er weiß längst um die Bedeutung, die der SPD-Kanzlerkandidat seiner Berufung in das SPD-Wahlkampfteam beimißt. Walter Riester, seit Jahren die treibende Kraft der Reformer innerhalb der IG Metall, soll die Gewerkschaften für den Wechsel gewinnen und später als Arbeitsminister Arbeitnehmer wie Arbeitgeber in das „Bündnis für Arbeit“ einbinden.
Manche Lobgesänge auf das angepeilte Bündnis gehen Riester, der sich „nie mehr gestatten will, Realitäten auszublenden“, aber zu weit. Im Gespräch warnt er vor „Überhöhungen“, denn „die Welt kann man damit nicht neu organisieren“. Ihm selbst schweben zunächst konkrete Absprachen zu bestimmten, abgegrenzten Bereichen vor – etwa zur nachhaltigen Ausweitung von Altersteilzeit. Dabei als Arbeitsminister, dem „strategisch wichtigen“ Amt, die entscheidenden politischen Fäden mitzuziehen, „reizt“ den 55jährigen inzwischen sehr. Er sieht darin „die Chance“, das von ihm verfolgte „Reformprojekt“ auf „anderer Ebene fortzusetzen“.
1943 wurde Riester in Kaufbeuren im Allgäu geboren. Nach der Volksschule lernte er Fliesenleger, engagierte sich schon bald in der IG Bau und wurde danach Jugendsekretär beim DGB in Baden- Württemberg. Nach dem Besuch der Frankfurter Akademie für Arbeit wechselte das SPD-Mitglied zur IG Metall und landete schon 1980 bei der Bezirksleitung in Stuttgart. Anfang der siebziger Jahre zählte Riester noch zum harten „Stamokapflügel“ in den Gewerkschaften. „Ich war damals“, so räumt er heute unumwunden ein, „ein Anhänger einer linksdogmatischen Position“. Der „Ablösungsprozeß“ begann für ihn durch die Arbeit in einer IG-Metall-Verwaltungsstelle. Nicht zuletzt die Konfrontation mit der betrieblichen Realität nährte den Zweifel in ihm an der großen sozialistischen Alternative: „Da habe ich viel gelernt.“
Schon 1984, im großen Streik um die 35-Stunden-Woche, liefen die Fäden bei Riester in Stuttgart zusammen. Die strategische Planung des Arbeitskampfes lag ebenso in seinen Händen wie die Verhandlungsführung mit den Arbeitgebern. Mit Dieter Hundt, seinem damaligen Pendant auf der Arbeitgeberseite und heutigen Arbeitgeberpräsidenten, hat er so manchen Pilotabschluß ausgehandelt. Das geschlossene Weltbild des linken Metallers war in diesen Jahren zwar längst zerbröselt – „damit kam ich schon lange nicht mehr klar“, aber der Blick gen Osten blieb immer noch verklärt.
Später, als die Mauer fiel, kam ihm dann die Frage, „warum hast du dir selbst verboten, bestimmte Dinge zu sehen. Warum hast du weggeschaut?“ Solche Vorwürfe „will er sich nie wieder machen müssen“. Nichts verdrängen, sehen, was ist – auch wenn es weh tut –, und darauf aufbauend handeln, lautet seine Konsequenz.
Aus diesem Credo speist sich seine Vitalität, die erforderlichen Reformschritte, etwa im Bereich des Flächentarifvertrages, auch gegen massive Widerstände in den eigenen Reihen anzugehen. Ohne eine Bereitschaft zur Erneuerung und Flexibilisierung, die auch der eigenen Klientel einiges abverlangt, davon ist Riester überzeugt, gehen die bewährten Instrumente endgültig vor die Hunde. Wer nur das Bestehende verteidige, fördere deshalb in Wahrheit „konservative Prozesse“. Er selbst versteht sich als ein „linker Modernisierer“. Daß manche in der IG Metall ihn eher einen „Modernisten“ schimpfen, der viel zu eng mit den Unternehmern zusammenarbeite, „schmerzt“ ihn wirklich.
Von einer Flucht aus der Gewerkschaft in die Politik will Riester gleichwohl nichts wissen: „Ich habe mich immer der Auseinandersetzung gestellt, und dabei bleibt es.“ Sollte der Wechsel in Bonn mißlingen, will er seine Stellung in der IG Metall halten. Erst wenn der Widerstand gegen ihn so weit zunähme, „daß ich als Person der Politik, die ich für richtig halte, eher im Wege stünde“, würde er den Raum wohl freimachen, „damit andere das weitertreiben können“. Doch „an diesem Punkt sind wir nicht“. Daß der interne Streit um die künftige Form der Arbeitszeitverkürzungspolitik zu einer solchen Eskalation führen könnte, scheint dabei nicht ausgeschlossen.
Klar ist, daß Riester, bestärkt von vielen Betriebsräten und Vertrauensleuten der IG Metall quer durch die Republik, von der weiteren Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 32 Wochenstunden nichts hält. Ganz im Gegensatz zu IG-Metall-Chef Klaus Zwickel, der sich diesem Ziel verschrieben hat. Die Richtungsentscheidung darüber fällt aber erst im nächsten Jahr. Spielte das Wahlvolk im September mit, müßten ohnehin Riesters politische Erben in der IG Metall diesen Streit mit dem Zwickel-Lager ausfechten.
Daß der Kampf in der politischen Arena mitunter noch ein paar Grade härter abgeht als in den Gewerkschaften, bekam der phantasievolle Querdenker, der seine Argumente auch in aufgeheizter Atmosphäre stets in ruhiger Tonlage vorzutragen pflegt, in den vergangenen Wochen am eigenen Leibe zu spüren. Weil er in einem Spiegel-Interview die Bonner Sprachregelung der Sozialpolitiker von CDU und SPD verletzt und von „Mindestrente“ statt „sozialer Grundsicherung“ für arme Renter gesprochen hatte, fielen die Bonner Akteure über ihn her.
Auch ein paar Hinterbänkler der SPD nutzten den Lapsus, um die Qualifikation des Seiteneinsteigers in Zweifel zu ziehen. Man warf ihm eine Abkehr vom bisherigen, beitragsfinanzierten Rentensystem vor, wohlwissend, daß die „soziale Grundsicherung“, die er mit der „Mindestrente“ im Blick hatte, kein Systembruch bedeutet und nichts mit der Grundrente nach den Vorstellungen von Kurt Biedenkopf zu tun hat. Daß Begriffe bewußt mißinterpretiert und instrumentalisiert werden, kennt Riester zwar aus gewerkschaftlichen Debatten, neu aber war für ihn diese „brutalisierte Form“ der Bonner Auseinandersetzungen.
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