: Tote Hose in Kneipe und Witz
■ „Ristorante Immortale“: Spannendes Maskentheater demnächst im Theater am Leibnizplatz
Große Weltaufsaugeaugen, ein Mund mit einer unzähmbarer Neigung zu ironischem Winkelgekräusele, kantige Robert-de-Niro-Herzlichkeit: Keine Frage, Michael Vogel hat ein schönes, ein starkes Gesicht. Doch was macht er mit diesem edelstem Kapital, dessen sich ein Schauspieler erfreuen kann? Er verbirgt es unter einer Maske mit Ameisenbär-Nase und tranigen Wangenlappen. Auch so ein Mann mit eiserner Maske; nur diesmal ist sie aus Pappe.
In Vogels Biographie blitzen, ebenso wie in den Lebensläufen seiner fünf Kollegen Ilka Vierkant, Hajo Schüler, Markus Michael Michalowski, Björn Leese und Paco Gonzalez, immer mal wieder die erlauchten Namen der ersten Häuser Deutschlands und umzu auf: Schauspielhaus Hamburg, Burgtheater Wien, Bochum, Wuppertal. Das kommt hochseriös. Würde da nicht nach der Gattungsbezeichnung „Schauspieler“ immer noch der eine oder andere verdächtige Begriff folgen. Mal lautet er „Pantomime“, mal „Clown“, mal „Musikerin“. Schuld an diesem dubiosen Umstand ist die Essener Folkwang Schule; die nämlich bietet ein Hauptfach Pantomime an. Für kurze Zeit konnte man dort sogar Clownerie studieren. „Seitdem gibt es in Deutschland genau zwei diplomierte Clowns. Einer davon ist Paco“, freut sich Vogel. Der freiwillige Verzicht auf Stimme und Mimik ist damit aber noch nicht hinreichend erklärt.
Erstaunliches führt Vogel zu dessen Begründung an: „Die Maske ist gnadenlos und ehrlich. Sie zeigt alles.“ Eine Ohrfeige für alle, die Maskieren assoziieren mit Verbergen. Was da im ersten Moment entzückend widersinnig klingt, speist sich aus einem halbwegs pessimistischen Menschenbild: Die menschliche Gesichtsmuskulatur muckt und zuckt um zu lügen. Als muß diese erste Maske aus purem Fleisch verdeckt werden durch eine zweite Maske aus Pappe, damit die Wahrheit wieder sichtbar wird. Eine Wahrheit, die im Körper sitzt, nicht im Kopf. Nicht unplausibel.
„Ristorante immortale“, die zweite Produktion von Vogel und Schüler, zeigt die geschlossene Gesellschaft eines totalfloppenden Restaurants am Ende der Welt – oder zumindest dem einer Einbahnstraße. Koch, Chef, Oberkellner, Lehrling und jede Menge Spleens, Ängste, Träume und sinnlose Aktivitäten bevölkern den Laden; aber keine Gäste. Intendiert ist weniger eine Kleinbürger-Milieustudie als eine ironische Reflexion auf die Arbeitssituation in der freien Theaterszene. „Die Grundidee war: Man hat etwas Tolles vorbereitet – und keiner kommt.“ Da geht es dem gescheiterten Kochkünstler nicht anders als ebensolchem Schauspieler. „Wir zeigen Menschen, die an einem Ort leben, der seinen Sinn längst verloren hat. Gerade in Zeiten der Rezession ein virulentes Thema.“ Kochen, Blumen arrangieren, Tischdecken: Perfekte Dienste werden geleistet – doch niemand kann es sich mehr leisten, sie in Anspruch zu nehmen. Die Personenkonstellation im kafkaesken Treiben ist Folge von Vogels raffinierter Wahrheitstheorie. Das Theater der Masken, erzählt er schwärmerisch, kann natürlich keine psychologische Wirklichkeit für sich in Anspruch nehmen. Die einzelnen Figuren zeigen keinen komplexen Menschen, sondern immer nur Typen. In der Summe aber addieren sich diese zu einem differenzierten Psychogramm. Deshalb verkörpern die Figuren des Stücks die unterschiedlichen Seiten ein und derselben Person, verschiedene Altersstufen, unterschiedliche Temperamente.
In England und Frankreich, erzählt Vogel, gibt es eine lebendige Tradition dieses theatralen Starr-Sinns. In Deutschland aber dürften Vogel & Co die einzigen Puppen aus Fleisch und Blut sein. Das Ensemble fühlt sich weniger Kabarettisten und anderen Klein- und Klamaukkünstlern nahe, sondern eher einer Pina Bausch oder einem Christoph Marthaler. Vielleicht ist das der Grund, warum Paco verliebt ist in den schlechtesten Witz aller Zeiten. Der geht so. Junger Kater zu alten Katern: „Wo geht ihr hin?“ Alte Kater: „Zum Ficken.“ Junger Kater: „Stark, ich komme mit.“ Eine Horde von Katern umkreist einen Baum. Auf dem sitzt eine Katze. Der junge Kater streunt eine Weile mit und meint cool: „So Jungs, ich fick jetzt noch 'ne weitere Runde und geh dann nach Hause.“
Die bessere Alternative zum Bäumeumkreisen ist eindeutig, ins Theater zu gehen. Dort kann man das mit der tieferen Wahrheit der Maske überprüfen. Aber eigentlich sollte ein Stück über leere Häuser in einem leeren Haus gespielt werden. Das wäre Selbstreferenzialität auf die Spitze getrieben! bk
15. bis 18. Juni, 19.30 Uhr
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