: Lohnsicherheit plus die Aussicht auf Aktienprofite
■ Die Air-France-Belegschaft distanziert sich von den Forderungen der Piloten. Ihre Kritik richtet sich gegen die ambivalente Haltung vieler Piloten zur Privatisierung des Unternehmens
Seit der neogaullistische Ex- Premier Edouard Balladur die Liste der „zu privatisierenden Staatsunternehmen“ aufgestellt hat, steht auch der Name von Air France darauf. Und das bis heute, obwohl seit einem Jahr in Paris eine rot-rosa-grüne Regierung am Ruder ist, die ganz offiziell erklärt hat, Air France werde nicht privatisiert. Oder zumindest zu nicht mehr als 50 Prozent.
Für diese linke Leitlinie einer Luftverkehrspolitik mit einer starken staatlichen Komponente steht auch die Besetzung des Verkehrsministeriums mit dem Kommunisten und Ex-Gewerkschafter Jean- Claude Gayssot. Der hatte zu Anfang seiner Amtszeit ziemlich unmißverständlich klargestellt, er wolle „kein Privatisierungsminister“ werden, und wenig später noch hinzugefügt: „Ich werde auch kein Minister der Lohnkürzungen.“
Von der gegenwärtigen Regierung haben die 55.269 Beschäftigten der Air France damit Zusagen bekommen, die in klarem Widerspruch zu den früheren Absichtserklärungen Frankreichs stehen und die sich kraß von der Linie der europäischen Nachbarländer unterscheiden; dort sind die Fluggesellschaften längst privatisiert. Denn 1994, als der französische Staat und Hauptaktionär von Air France das damals marode Unternehmen mit 20 Milliarden Francs (ca. 6 Milliarden Mark) aus dem Staatssäckel „rekapitalisierte“, mußte er dafür im Gegenzug strenge Bedingungen der Brüsseler EU-Kommission schlucken. Unter anderem verlangten die Brüsseler Wettbewerbshüter dem „rekapitalisierten“ Unternehmen ab, daß es für eine Übergangszeit keine neuen Investitionen tätige und daß es seine Privatisierung vorbereite.
Jene Übergangszeit, in der die Expansion von Air France aufgehalten und die Entwicklung auf innere Sanierung konzentriert war, ist vorüber. Das Unternehmen geht aus dieser Phase größer und stärker hervor, auch dank der Fusion mit der zweiten französischen Fluglinie Air Inter. Für das soeben abgelaufene Geschäftsjahr hat Air France eine Bilanz vorgelegt, die mit 1,9 Milliarden Francs (etwa 0,6 Milliarden Mark) Reingewinn besser ist als je zuvor.
Jetzt will Air France die von Brüssel gebremste technologische Erneuerung nachholen (unter anderem mit rund 70 Flugzeugkäufen), sein Personal dem Anstieg des Flugverkehrs anpassen (für die beiden kommenden Jahre sind 6.000 Neueinstellungen geplant) und seine internationale Expansion betreiben (unter anderem hat das Unternehmen bereits mit mehreren US-Gesellschaften die Aufstockung des transatlantischen Verkehrs geregelt).
Derart aufgerüstet will Air France im kommenden Herbst mit 20 Prozent seines Kapitals an die Börse gehen – zumindest ist das die Absicht der Unternehmensleitung. Bis dahin will sie die Aktien noch attraktiver machen: durch Lohnkostensenkungen. Ausgeglichen werden sollen die Lohneinbußen durch die Aktienvergabe an das Personal.
Die Belegschaft allerdings meldet vor dem Börsengang andere Wünsche an. Das ist nicht überraschend, denn während der Sanierung von Air France hatte es nicht nur einen Lohnstopp gegeben, es wurden zusätzlich – und das nicht nur für die Piloten – auch neue, niedrigere Lohngruppen eingeführt. Die Bedingung dafür war klar definiert. Sie lautete: Die niedrigeren Tarifgruppen sind eine Übergangslösung; sie ist bis zum 31. Mai 1998 befristet.
Bekanntlich begann der Pilotenstreik am Morgen nach dem Ablauf dieser Frist. Sämtliche anderen Belegschaftsmitglieder des Unternehmens freilich hielten sich mit Reaktionen nicht nur zurück, sondern äußerten sogar vereinzelt Kritik an dem Streik der 3.423. Diese Distanz zwischen den einzelnen Bereichen von Air France hat eine lange Tradition und viele Gründe. Einer davon ist die Entlohnung der Piloten, die mit Salären zwischen 16.000 Francs (ca 4.800 Mark) und und einigen seltenen Spitzen von bis zu 50.000 Francs (ca. 15.000 Mark) die Aristokraten der Luftfahrt sind. Ein anderer Grund ist die bekannte ständische Interessenvertretung der Piloten, die in der Vergangenheit nie die Forderungen des Bodenpersonals unterstützt haben. Ein drittes gewichtiges Argument ist die bekannt ambivalente Haltung vieler Piloten zur Privatisierung des Unternehmens.
„Die wollen den Sozialismus und die freie Marktwirtschaft auf einmal“, heißt es in diesen Tagen öfter, wenn skeptische Mitarbeiter des Bodenpersonals der Fluglinie über den Streik diskutieren. Soll heißen: Die Piloten wollen die Profite aus dem Aktienkapital und die Lohnsicherheit und -höhe eines Staatsunternehmens.
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