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"Wer richtig denkt, der gewinnt"

■ Bora Milutinovic, Trainer des WM-Mitfavoriten Nigeria, darüber, wie wichtig die Psychologie ist, warum das Wetter noch viel wichtiger ist, und wie er es schafft, bei jeder WM wieder dabeizusein

taz: Niemand scheint zu wissen, wann sie geboren sind. Ist es der 6. Juni 1940?

Bora Milutinović: Ich bin nicht am 6. Juni geboren, sondern am 7. September. Und weder 1940 noch 1942, sondern 1944. Neulich brauchte ich einige Dokumente und da hieß es, ich wäre am 7. August geboren. Was soll's, heute bin ich zwar ein wenig älter als gestern, aber jung bin ich immer.

Sie wurden oft kurz vor einer WM verpflichtet, so auch diesmal von Nigeria. Sind Sie der Red Adair des internationalen Fußballs?

Nein, ich habe halt Glück mit den Jobs. Und weil Mexiko und die USA als Gastgeber automatisch dabei waren, gibt es immer Leute, die spotten: „Hey Bora, du qualifizierst dich nie für die WM und bist trotzdem da.“

Was kann man bei solchen Blitzeinsätzen überhaupt ändern und verbessern?

Ich mache halt irgendwas.

Wie bitte?

Na ja, vielleicht liegt es daran, wie ich mit den Spielern rede oder daß ich selbst Spaß am Leben habe.

Sie sind die Stimmungskanone?

Sie müssen eins wissen: Das Wichtigste ist Psychologie. Als Sportler, wo man viel trainiert, muß man Spaß an der Sache haben.

Weil eine Weltmeisterschaft in Wirklichkeit eine langweilige Angelegenheit für Spieler und Trainer ist? Man ist wochenlang kaserniert, sieht immer die gleichen Leute, es geht nur um Fußball...

Das hängt doch von jedem selbst ab. Wenn jemand über Langeweile klagt, kann ich nur antworten: „Du bist tot, mein Freund.“ Und wer von mir fordert, ich soll einen Spieler ändern, dem muß ich sagen: „Unmöglich!“ Das kann er nur selbst, ich kann ihm bestenfalls auf dem Weg dahin helfen.

Sie werden in Frankreich Ihre 22 Spieler um sich sammeln, und dann entwickelt sich eine Gruppendynamik...

...was eben das größte Problem ist. Wenn man das gelöst hat, hat man gewonnen. Für Costa Rica hat sich bei der Weltmeisterschaft in Italien zunächst niemand interessiert, keiner hat an uns geglaubt. Aber wir haben hart trainiert, und wir haben nicht gespielt, um zu gewinnen.

Wie bitte, es geht doch ums Gewinnen?

Ja, aber wir haben erst mal nur gespielt, und das macht es viel einfacher. Dazu gibt es für einen Trainer immer noch die Möglichkeit, mit kleinen Tricks zu arbeiten.

Verraten Sie uns einen?

In Italien habe ich mit Costa Rica gegen Schottland gespielt. Vorher haben sich beide Mannschaften wie üblich auf dem Spielfeld warm gemacht. Die Schotten haben dabei ganz ernste Gesichter gemacht, und ich habe meinen Spielern gesagt: „Schaut in ihre Gesichter, es steht 1:0 für uns. Die haben Angst vor uns.“ In Wirklichkeit haben sie sich natürlich nur konzentriert.

Das heißt, Ihre Spieler waren ziemlich naiv?

Nein, sie haben mir geglaubt. Und wer das Richtige denkt, der gewinnt. So haben wir Schottland mit 1:0 geschlagen.

Also brauchen Sie den nigerianischen Spielern in Frankreich nur das richtige Denken beizubringen, dann können sie das Halbfinale erreichen, das Finale oder gar den Titel?

Schon wieder die falsche Frage! Sie müssen anders denken! Es geht nicht darum, im Kopf zu haben: Wenn ich dieses Spiel gewinne, dann könnte das passieren. Man muß einfach nur schauen, daß man so gut spielt, wie es möglich ist. Und dann gibt es immer noch diese Dinge, die passieren können.

Was mag das nun sein?

Ich habe mit Mexiko gegen die brasilianische Olympiamannschaft gespielt, die vorher nie verloren hatte. Also bin ich gefragt worden: „Bora, wie kann man Brasilien schlagen?“ Ich habe nur gesagt, daß wir mit Gottes Hilfe auf Regen hoffen müssen. Morgens war es noch ein wunderschöner Tag und alle dachte, daß wir nicht gewinnen können. Aber dann fing es an, in Sturzbächen zu regnen. Auf einem Platz voller Pfützen haben wir 2:0 gewonnen. Und bei der Weltmeisterschaft 1986 habe ich mit Mexiko gegen Belgien gespielt. Da war es morgens kalt und regnerisch, worüber sich die Belgier gefreut haben. Dann kam die Sonne raus, und wir haben 2:1 gewonnen.

Sie arbeiten das erste Mal in Afrika. Was ist das Besondere an einem Team wie Nigeria?

Es mangelt ihnen manchmal an Geduld, und die braucht man. Aber dafür haben sie die größte individuelle Qualität und sind ungeheuer selbstbewußt.

Die nigerianischen Spieler wirken wie Rapper.

Wie die Musiker? Das stimmt. Dieses „hier bin ich, aus dem Weg“. Das liegt in ihrer Natur.

Prägt das auch ihren Stil zu spielen, oder gibt es im Fußball so etwas wie einen nationalen Stil nicht mehr?

Vor Jahren ist noch über den südamerikanischen oder britischen Stil gesprochen worden. Das gibt es kaum noch, weder bei Frankreich noch Brasilien oder Nigeria. Nein, heute gibt es nur noch einen weltweiten Stil. Mit einer Ausnahme vielleicht.

Und die wäre?

Deutschland. Wenn alle Mannschaften gleich stark sind, heißt der Sieger immer Deutschland. Jedesmal jammern sie vor der WM, daß die Mannschaft nicht gut genug wäre. Angeblich fehlt es an guten Spielern, und dann sind sie doch wieder vorne. Weil sie die richtige Mentalität haben.

Aber sie spielen nicht unbedingt auf eine Weise, die Ihnen gefällt?

Vielleicht. Ich liebe das Spektakel, und so sollen meine Mannschaften spielen. Dafür braucht man aber nicht nur die richtigen Spieler, sondern auch Zeit.

Die Sie kaum einmal hatten, weil Sie schon zum nächsten Einsatz geeilt sind.

Ich führe halt ein Zigeunerleben.

Wie Sie das sagen, klingt es romantisch.

So ist eben das Leben, und ich mag das Reisen. Aber als Fußballtrainer würde ich natürlich viel lieber an einer Stelle mit einer Mannschaft arbeiten. Man kennt die Spieler, die Funktionäre, das ganze Drumherum. Das ist viel leichter, und man hat Zeit und Gelegenheit, den Spielern etwas beizubringen. Leider ergibt sich das nicht immer, und dann ist es doch wohl besser, irgendwo zu arbeiten als gar nicht. Interview: Christoph Biermann

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