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Schriftsteller aus Phantasielosigkeit

■ Daniel Douglas Wissmann gilt als ein etwas anderer junger Hamburger Autor / Ein Porträt

Ein Apple-Computer der allerersten Generation thront in seinem Arbeitszimmer über einer Zufallslandschaft aus Zetteln, Papieren, Büchern. Auf den muß Daniel Douglas Wissmann manchmal draufhauen, „dann ist er wieder da“. Sympathisch ist ihm dieser Zug seines Schreibgerätes, das Eigenleben.

Sein erstes Buch, den Krimi Königin der Bienen, hat er noch auf einer Schreibmaschine getippt, denn er meinte, man arbeite dabei vertiefter. Doch seit Dillingers Luftschiff schreibt und denkt er am Computer, seinem Freund. Sein zweiter und jüngster Roman, den die Kritik lobt, ist als Hardcover beim Rowohlt-Verlag verlegt. Ein schöner ideeller Erfolg für einen 32jährigen Autor, dem der finanzielle folgen könnte.

Lang war der Weg des Hamburgers zu dieser Etappe. D. D. Wissmanns Eltern trifft kaum eine Schuld an seinem Berufswunsch. Sein Vater war Verlagskaufmann und starb vor Jahren. Die Mutter entschied sich, der Hausfrauenpflichten ledig, Abenteurerin zu werden. Sie betreut nun Pferde und Schlittenhunde in Island, Kanada und in Alaska, wohin sie alljährlich für das Iditerot-Rennen von Anchorage nach Nome reist. „Sie ist eine mutige Frau. Ich bin sehr stolz auf meine Mutter.“ Auch für D. D. Wissmann bedeutet Abenteuer viel. Er fand es in den Erzählungen Jack Londons, einem Autor, den er bewundert; dann auf seinen eigenen Reisen. Und er spricht vom Abenteuer des Schreibens, was für ihn bedeutet: die spannende Entfaltung einer Geschichte und von Menschenschicksalen.

Ein anderer Beruf ist ihm nicht eingefallen

„Ich bin Schriftsteller geworden aus Phantasielosigkeit“, ihm gefällt dieses Paradoxon. Er spricht es nicht zum ersten Mal aus. Ein anderer Beruf sei ihm nicht eingefallen. Heute meint er, schon mit 15 Jahren seine Neigung verspürt zu haben. Damals veröffentlichte eine Schülerzeitung sein erstes Gedicht, wenn auch versehentlich nur die Hälfte. Der Schule folgte eine Zeit der Depression. Der Ernst des Lebens drohte. Die Zukunft erschien ihm als „grauer Tunnel ins tötende Nichts“. Wissmann sumpfte herum, wollte studieren, reiste, versuchte sich gar halbherzig als Journalist. Doch daraus wurde nichts: Er recherchierte erst im nachhinein, da er es liebte, sich seine Geschichten selbst auszudenken. Erste Erzählungen schrieb er mit 20. Was für welche? – „Keine so guten“, urteilt er nach kurzem Zögern. Denn zum Schreiben gehöre Erfahrung, und er wußte eigentlich nicht, worüber er schreiben sollte.

Das änderte sich mit seiner großen Brasilien-Reise. Dort fand Wissmann seelische Ruhe und auch die Anregungen zu seinem ersten Roman. Er begleitete Goldgräber auf dem Amazonas, die Pistolen tragen und Gebisse aus purem Gold. Er traf Menschen, die die Erde für eine Scheibe halten, Räuber von Frauenhaar, Mörder. Stets führte er ein Messer bei sich. Und Jack London lächelte ihm freundlich zu. In Brasilien schrieb D. D. Wissmann zum ersten Mal diszipliniert, täglich.

„Seitdem sind mir die Ideen nie mehr ausgegangen“, schwärmt er in seinem tiefen, klangvollen Bariton. Das Material seiner Geschichten findet er heute auf der Straße. Und in seiner Vita – Dillingers Luftschiff trägt deutlich autobiographische Züge, jedoch in „stark stilisierter Form“. Der Roman berichtet in kräftigen Farben die Odyssee eines Kindes, Adoleszenten, Mannes auf der Suche nach der Erfüllung eines Liebesversprechens, eines Traumes.

Dabei läßt sich der Autor oft mehr von der Magie der Situation bezauberm als von der psychischen Beschaffenheit seiner Charaktere. Doch D. D. Wissmann versteht sich als Erzähler: Die äußere Handlung leitet die Schilderung von Außergewöhnlichem, beinahe Phantastischem, von Wesen mit Eigenleben. Einen Roman zu schreiben sei für ihn, wie in einen Fluß zu steigen: Wenn man Glück hat, wird man mitgerissen. „Meine Bücher sind das, was ich selber gerne lesen würde.“ Er begreift sich als Deutscher, der aus der Art geschlagen ist. Auf die Kunst der Erzählung verstünden sich die Landsleute eigentlich nicht, mit ihrem Drang zur Introspektive. Die Angelsachsen um so mehr. John Irving liebt Wissmann insbesondere, der nicht bloß eine Geschichte von A bis Z erzähle, sondern dem es gelänge, „zwischen zwei Buchdeckeln eine ganze Welt zu entwerfen“.

Zwischen zwei Buchdeckeln die Welt entwerfen

Gewiß schreibt Wissmann keine intellektuellen Bücher. Wen es nach psychologischer Belehrung gelüstet, wird nicht auf seine Kosten kommen. Doch Wissmann entdeckt an sich zunehmend eine Ader für die inneren Vorgänge. Er glaubt nun, interessantere, profiliertere Charaktere schaffen zu können als zur Zeit von Königin der Bienen, dem Thriller mit den coolen Typen.

Vor einem Jahr fiel D. D. Wissmann ein großer Stein vom Herzen. Er entdeckte, daß er von der Schriftstellerei leben kann. Neben Prosa verfaßt er Drehbücher, ein lukratives Nebengeschäft, an dem er das „Mathematische“ schätzt: die Ökonomie der Worte und der Details. Mit der Professionalität kamen neue Verpflichtungen: Verhandeln, Reisen zu Lesungen. Kürzlich ist er Vater geworden. Mehr Disziplin ist nun nötig. Wissmann arbeitet im allgemeinen wochentags von 10 bis 17 Uhr, sein Ziel ist ein Pensum von drei Seiten pro Tag, wie Onkel London.

Drei Dinge hält der Autor zum Schreiben für unverzichtbar: das Gefühl von sorgloser Ruhe, eine Vision und ein Selbstvertrauen, das an Größenwahn grenzt. „Ich muß glauben: Das wird ein phantastischer Roman, der die Leute absolut umhaut – dann wird es vielleicht ein ganz gutes Buch.“

Zur Zeit beendet D. D. Wissmann seinen dritten Roman. Ab und zu schlägt er dabei seinen alten Apple, voll Achtung und Sympathie.

Hilmar Schulz

Daniel Douglas Wissmann: Dillingers Luftschiff; Rowohlt-Verlag, 420 Seiten, 42,– Mark

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