Der Staat als Qualitäts-Killer

■ „Architektur und Verantwortung“ kritisiert den öffentlichen Bauherrn

Die Qualität von Architektur hängt, ganz im Gegenteil zum freien Kunstwerk, nicht nur von der Qualität des Autors ab. Auch wenn man den Architekten sicherlich nie aus der Verantwortung für seinen Entwurf entlassen kann, so haben auf den fertigen Bau eine solche Unzahl von Kräften eingewirkt, daß die tatsächliche Verwirklichung der künstlerischen Idee zu den seltenen Ausnahmen gehört. Industrielle Produktionsweisen, die den handwerklichen Ethos durch serielle Bauteile ersetzten, gehören ebenso zu diesen Kräften wie städtische Gestaltungssatzungen, oftmals inkompetente Bezirksparlamente oder katastrophale Finanzbedingungen.

Eine zentrale Rolle bei dem flächendeckenden Verlust von Baukultur und dem Durchmarsch der Meterware spielt aber sicherlich die Kapitalzentralisierung in Investment-Fonds und international agierenden Investorengruppen. Statt des sich für sein Bauwerk verantwortlich fühlenden Bauherren sorgt nun das „vagabundierende Kapital“ dafür, daß die Gewinnmaximierung über jede qualitative Diskussion herrscht.

Diese galoppierende Tendenz der architektonischen Anonymisierung durch den profitorientierten Tunnelblick von Investmentfirmen ist das Thema des vierten Bandes der Schriftenreihe des Bundes Deutscher Architekten (BDA) Hamburg. In der von Volker Roscher herausgegebenen Reihe wird in unregelmäßigen Abständen Diskussionsstoff zu Themen der Hamburger Baukultur veröffentlicht.

Der mittlerweile vierte Band mit dem Titel Architektur und Verantwortung beleuchtet nun die unterschiedlichen Aspekte einer zerstörten Dialektik zwischen Bauherrn und Baumeister. Im Mittelpunkt steht dabei ein Vortrag, den der Architekt und SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Conradi Anfang des Jahres auf Einladung des BDA in Hamburg hielt. Sein Thema „Die Verantwortung des öffentlichen Bauherrn“ war zwar weit über die Hamburger Stadtgrenzen hinaus gesteckt, seine These, daß das zunehmende Desinteresse des Staates an seiner Verantwortung als Bauherr mit zu einer gefährlichen Verarmung des Gemeinswesens führt, kann aber hier gleichermaßen gelten.

In die gleiche Kerbe schlägt der BDA-Vorsitzende Sven Silcher, wenn er konstatiert, daß der Rückzug des öffentlichen Bauherrn zu einem rapiden Absinken von Architektur-, Umwelt- und Stadtqualität führt. Und die Architektin Mirjana Markovic schließlich kritisiert den fehlenden Mut zur zeitgenössischen Architektur mit der sehr treffenden Behauptung: „Die einzig wahre Tradition ist der Wechsel“, denn „im Neuen ist immer das Dagewesene enthalten.“

Auch dieser Band der Schriftenreihe erlaubt es dank seiner inspirierten und komprimierten Form wieder, auch Fachfremden einen leichten Zugang zu wirklich drängenden Fragen der Stadtentwicklung zu geben. Till Briegleb

Architektur und Verantwortung, hrsg. vom BDA Hamburg, Knut Reim Verlag, 60 S., 19,80 Mark