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Laute Tage im Klischee

■ Die Vorschau: Die wiedervereinigten Jacobites schreiben für jedes Album einen Dylan-Song und gastieren jetzt im Tower

Nick Cave hat sein Buch bereits veröffentlicht, Blixa Bargeld unterrichtet sogar Dichtkunst in Wien, und auch Hugo Race sammelt in alten Archiven neues Material für Kurzgeschichten. Da fehlt von den verdienten Legenden der Berliner Achtziger-Rockbohème eigentlich nur noch Nikki Sudden, den man jeztt wieder in seiner Kreuzberger Wahlheimat trifft, wo er sich in einem Übungsraum gemeinsam mit Dave Kusworth auf eine neue Tour der 1984 gegründeten und mehrmals reaktivierten Jacobites vorbereitet. Und wären sie nicht eine richtig laute Band, hätte allein der Zustand ihres verwüsteten Kellers eine Erwähnung wegen stiller Tage im Klischee verdient. Aber die Herren bitten zum Gespräch ohnehin in die nächste Kneipe.

Und siehe da, auch der inzwischen 42jährige Nikki Sudden bereitet sich auf einen Ausflug ins Bücherregal vor: „Mein Roman begann als Hörspiel. Doch inzwischen ist er auf 220 Seiten angewachsen. Es ist zwar immer noch die apokalyptische Geschichte, mit der ich angefangen habe, aber es ist auch eine Liebesgeschichte daraus geworden. Dennoch hat das Buch ein trauriges Ende, wie das Leben.“

Ob das neue Jocobites-Album wohl wegen dieser deprimierenden Einschätzung „God save us poor sinners“ heißt? Mit milder Ironie berichtet Nikki Sudden: „Die eigentliche Idee für das Cover war ein Bild von David und mir, wie wir in der Kirche beten und um Vergebung bitten, doch leider hatten wir nie Zeit dafür.“ Der 38jährige Dave Kusworth ergänzt ernster: „Es ist schon seltsam. Denn gleichzeitig starb Epic, Nikkis Bruder. Das fiel dann mit dem Titel zusammen, und auch so ergibt er Sinn: Gott rette uns, wo all' unsere Freunde sich nun verabschieden.“ Doch wirklich religiös sind sie nicht geworden: „Wir glauben höchstens an den Rock'n'Roll“, sagt Dave Kusworth und nimmt noch einen Schluck aus der mitgebrachten Weinflasche.

Und wie auf dem Vorgänger „Old Scarlett“, so leben die bekennenden Stones-Fans auch auf dem aktuellen Album ihren Glauben. Als wären Pavement, Tortoise und der ganze Rest nie passiert, rocken sie als ehrliche Häute durch die Welt und legen höchstens bei den vom Kajal-Konsumenten Kusworth geschriebenen Songs Spuren von Glam' auf. Diese Kracher kann man je nach Geschmack zeitlos oder überflüssig finden. Dafür überzeugen die Balladen. Krönung des Albums ist das fast neun Minuten lange „Elizabethan Balladeer“, dessen einziger Nachteil ein bemüht dylanesker Tonfall ist. Doch Nikki Sudden sagt: „Ich schreibe für jedes Album einen Dylan-Song. Von diesem hatten wir auch eine achtzehnminütige Version. Daß es dann nur achtdreiviertel Minuten wurden, lag daran, daß wir bei den Aufnahmen kaum noch Band hatten und Schluß machen mußten. Das ist immer noch lang, aber manche Songs müssen lang sein – wie Romane.“ Dennoch wird am Sonntag garantiert kein literarisches Quartett gespielt. Gunnar Lützow

Jacobites, Sonntag, 20 Uhr im Tower; der echte Dylan zur gleichen Zeit in der Stadthalle

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