Wichtig, aber nichtig?

■ Diskussion im Alten Gymnasium über Ibrahim und Abass – Borttscheller kam nicht

Was ist das für eine Stimmung? Etwa 300 SchülerInnen sitzen in der Aula des Alten Gymnasiums und schweigen. Ab und an stellt jemand eine Frage. Ratlosigkeit, Langeweile, Resignation, Enttäuschung? Nein, nein, sie seien freiwillig hier, versichert eine Schülerin. Auf dem Podium sitzen zwei Mitglieder der Projektgruppe „Ibrahim muß bleiben“. Stolz könnten die Schüler des Schulzentrums an der Kornstraße sein. Für ihr Engagment gegen die Abschiebung der beiden Brüder Ibrahim und Abbass A. nach Togo sind sie mit dem Theodor-Heuss-Preis ausgezeichnet worden. Die Mutter der Brüder ist ihren Angaben nach tot. Der Vater wurde mit einem älteren Bruder verhaftet und gilt seitdem als verschollen. Auch den Jugendpreis der Bremer Bildungsbehörde „Dem Haß keine Chance“ haben sie gewonnen. Doch Bremens Innensenator Ralf H. Borttscheller (CDU) redet immer noch nicht mit ihnen. Auf dem Podium sitzt stattdessen der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Klaus Peters. Ein Hinterbänkler, der in der Bürgerschaft noch nie durch Redebeiträge aufgefallen ist, aber immerhin einer, der sich vor die SchülerInnen traut. Am Donnerstag läuft die Duldung für den 18jährigen Abbas aus. Er muß dann mit seiner Abschiebung nach Togo rechnen. Der 16jährige Ibrahim quäle sich in schlaflosen Nächten mit der Frage herum, ob er seinen Bruder begleiten solle oder nicht, berichtet Barbara Wulff (SPD), die ebenfalls auf dem Podium sitzt. Was Ibrahim und Abass in ihrer Heimat zu fürchten hätte, will eine Schülerin wissen. „Nicht wenige“ Flüchtlinge, die nach Togo zurückkehrten, wären kurz nach ihrer Ankuft schwer verletzt oder tot aufgefunden worden, sagt Günter Werner, der Anwalt der Brüder. Außerdem soll vor drei Wochen in Togo ein Fernsehfilm über die beiden Jungs gezeigt worden sein. Sollte sich dies als richtig herausstellen, müßten die Togoer tatsächlich um ihr Leben fürchten, weil sie das Schreckensregime Eyademas „verunglimpft“ hätten, so Werner.

Eine rechte Diskussion kommt nicht in Gang. Es scheint, als wären sich alle einig. Bis auf Klaus Peters. Der Innensenator müsse sich an die Rechtssprechung halten, sagt er. Und das Verwaltungsgericht habe nunmal entschieden, daß Ibrahim und Abass zurückgehen müßten. „So hart diese Entscheidung auch ist.“ Die Richter seien mit Sicherheit gut informiert. Peters: „So ein Richter setzt sich ja nicht hin, hat eine Eingebung und fällt ein Urteil.“ „Wie haben die sich denn informiert“, will eine Schülerin wissen. Peters muß passen. Er weiß es nicht. Er fände es aber „positiv“ wie sich die Schüler „für Menschen“ einsetzten. „Ich habe nicht verstanden, was Sie vertreten“, sagt eine Schülerin. Das seien eben alles rechtliche Entscheidungen, die man zu tragen hätte, weicht Peters aus und verläßt die Aula. Vorher verspricht er noch, den Innensenator zu fragen, warum er nicht mit den Schülern redet. „Das interessiert mich nämlich auch.“

Barbara Wulff setzt auf den Petitionsausschuß, wegen des „politischen Signals“. Eine trügerische Hoffnung, nimmt Arendt Hindriksen (Grüne) ihr den Wind aus den Segeln. Der Beschluß des Petitionsausschusses hätte keine aufschiebende Wirkung – anders als der Härtefallausschuß in Nordrhein-Westfalen. Die SchülerInnen hätten nur einen weiteren Beweis dafür bekommen, wie richtig und wichtig, aber nichtig ihre Arbeit war.

Welche Stimmung herrscht unter 300 Schülern, die gerade so eine Lektion in Sachen Demokratie bekommen haben? In Bremen werde „brutal und gemein“ abgeschoben, und zwar „mehr als je zuvor“, schimpft Arendt Hindriksen ins Mikrophon. „Und das ist eine politische Schweinerei.“ Eine Sekunde lang ist alles still. Dann klatschen 300 Schüler begeistert in die Hände und klatschen und klatschen ...

Kerstin Schneider