Vierzig Jahre Kurzbesuch

■ Janet Fruchtmann: Ein Porträt der Malerin, die nie in Bremen bleiben wollte

Niemals – ein starkes Wort. Zu anspruchsvoll, zu überwältigend vielleicht, um es innerhalb eines Lebens, das nicht von vornherein gegen die seltsame Macht des Zufalls gelebt wird, unbefleckt zu lassen. „Niemals“, sagt Janet Fruchtmann, „wollten wir auf Dauer in Deutschland bleiben.“ Und nun, vierzig Jahre nach ihrer Ankunft in Köln, bemerkt sie mit der Beiläufigkeit einer Lebensweisen: „Es sieht ganz so aus, als ob wir hier geblieben sind.“

Versandet ist jenes eherne Prinzip, begraben unter einem angefüllten, reichen Leben. „Irgendwann“, lächelt die 70jährige,“ haben mein Mann Karl und ich über das Weggehen einfach nicht mehr gesprochen.“

Hierbleiben: Das heißt für Janet Fruchtmann tausende Kilometer entfernt von ihrem Geburtsort Victoria bei Vancouver. Hierbleiben: Das heißt vor allem, in Deutschland an der Seite ihres jüdischen Ehemanns zu leben, dem bekannten Filmemacher Karl Fruchtmann. Kann man ahnen, und sei es nur dunkel, was das bedeutet?

Geblieben ist ihr von jenem nie umgesetzen Ausreiseentschluß ihr kanadischer Paß, den sie immer verlängert hat, „weil wir geglaubt haben, ich kann uns und unsere drei Kinder im Notfall rausbringen mit diesem Dokument“. Und geblieben sind ihr auch eine ganze Anzahl alter und wackeliger Möbel, „die wir zumeist gebraucht gekauft haben, weil wir ja eigentlich nur auf Durchreise hier waren.“ Vierzig Jahre – eine lange Durchreise.

1992 hätte diese Reise beinahe ein Ende gehabt. Ein Infarkt traf die schlanke Frau. Mitten ins Herz. Ohne Vorankündigung – zuweilen wird man selbst von guten alten Bekannten überrascht. Auf hunderten von Bildern hatte Janet Fruchtmann zuvor den Tod gemalt, sich mit ihm angefreundet, ihn bekämpft, beklagt. Doch der Herr ist zäh und schaut selbst bei denen vorbei, die ihm ein Künstlerinnenleben lang die Treue halten. Der Tod ist zäh – aber Janet Fruchtmann steht ihm da in nichts nach und schlägt ihm ein Schnippchen, wo es nur geht.

Ob der Tod ein guter Verlierer ist? Zumindest wird er nicht umhin können, über Janet Fruchtmanns Bilder zu schmunzeln, die nach dem Herzinfarkt entstanden sind. Röntgenaufnahmen von ihrem Kopf hat sie auf Leinwände übertragen und übermalt. Zaghaft zu Beginn, als könne ihre Arbeit Schaden anrichten. Dann fordernder, freier, immer bunter, mutiger. Bis schließlich die Zeit, die alle Wunden schließt, den traurigen Schädel gesunden ließen. Er war fast wieder ein heiler Mensch geworden. „Kunst“ – und sie zögert, ob sie das lachend oder weinend sagen soll – „ist für mich wohl immer so etwas wie Selbsttherapie gewesen.“

Wieder so ein Satz, unter dem die Leiche eines alten ehernen Prinzipes begraben liegt. Denn eigentlich war es ihr seit ihren Studienzeiten in London und an der Vancouver School of Art verhaßt, Kunst als etwas so Profanes, als simple Seelenreinigung zu sehen. „Malerei, so habe ich immer glauben wollen, ist eine ganz eigene Welt. Fern von all diesen Dingen des Lebens. Und ich habe immer davon geträumt, in einer Welt voller Kunst zu leben.“ Doch das Leben, es wollte nicht sein so fern von der heilen Welt der Kunst. Und Janet Fruchtmanns Kunst, sie ist so voller Leben. Und damit weit mehr als bloße Selbsttherapie.

Ihr Bruder, der in Kanada als Bildhauer arbeitet und die für sie „wichtigste künstlerische Inspira-tionsquelle ist“, hat ihr vor Jahren einen Zeitungsauschnitt geschickt. Die Eisfrau, eine Vorgängerin des Gletschermenschen Ötzi, war von Forschern entdeckt worden. Dieses verweste Antlitz hat Janet Fruchtmann nicht mehr losgelassen. Immer wieder hat sie die Frau gemalt, auf Leinwände und Jutesäcke aufgetragen, collagiert, zerlegt und ständig aufs Neue zusammengefügt. Die vielen Sitzungen hatten Erfolg: Auf einigen Bildern kann die alte Dame über ihre wiederentdeckte Lust am Leben schon wieder lachen. Und an manchen Stellen blitzen gar bunte Farben unter den löchrigen Jutefetzen hervor. Die Eisfrauen hängen in bester Gesellschaft: Knochenstudien, Fossilienbilder, Tierschädelzeichnungen – Fruchtmanns Liebe zum scheinbar Morbiden ist ausgeprägt. „Ich finde diese Dinge schön, stellenweise sogar lustig“, sagt sie – wissend, daß ihr schwarzer Humor irritiert. Und es ihr zugleich erlaubt, sich allzu lästige Biografieschnüffler vom Hals zu halten. Distanz, auch zu ihren eigenen Arbeiten, ist ihr wichtig. Vielleicht liegt es daran, daß sie im Laufe der Jahre viele Bilder wieder übermalt oder zerschnitten hat, so daß sie heute oft nur noch kleine Fotos hat, die eine Ahnung von dem, was früher war, vermitteln können.

Irgendwann in diesem Früher entdeckte Janet Fruchtmann auch sich selbst. „Ich war mal ein hübsches Mädchen – viel zu uninteressant, um gemalt zu werden.“ Sie ist zweifellos eine sehr schöne Frau geblieben. Doch mit einem Gesicht, in das das Leben irgendwann schöne Linien gemalt hat. So sehr, daß Janet Fruchtmann dieses Gesicht für sich entdeckt hat. Sie begann mit Selbstporträts – einem Genre, dem sie bis heute die Treue hält. „Ich bin das verfügbarste Modell für mich“, wehrt sie von vornherein alle Interpretationsversuche ab, die dahinter Tiefsinniges vermuten. Vielleicht hat sie recht. Doch wenn man die Bilder über die Jahrzehnte hinweg betrachtet, bleibt eine Ahnung zurück, daß die Künstlerin in ihrem Gesicht vieles aufspürt, daß andere unter meterdicker Hornhaut zu vergraben wissen. Leid, Freude, dunkle Ahnungen, viel Weisheit – ab und an sitzt auf den Bildern eine Dame mit Tierschädel neben der Porträtierten und schaut zu, wie sich ihr Alter Ego im Laufe der Jahre verändert.

Einen kurzen Augenblick in ihrem Leben hat Janet Fruchtmann geglaubt – schon da ein Bruch mit ihrem schönen alten Traum von der reinen Malerei – sie müsse sich mit ihrer Kunst stärker politisch engagieren. „Ich habe“, bemerkt sie süffisant, „politisch immer links gefühlt.“ Und, nach einer Pause: „Aber ich habe wenig dafür getan.“ Anfang der 80er Jahre entstehen durch den Kontakt zu einer Bremer Kommunistin zahlreiche Porträts hiesiger Widerstandskämpfer. Nach einem Besuch in Auschwitz gemeinsam mit ihrem Mann malt sie in den Jahren danach regelmäßig riesige düstere, apokalyptische Gemälde voller kunstgeschichtlicher Anspielungen.

Seltsam unwirklich wirken diese Bilder. Beinahe so, als hätte es der Mobilisierung aller Weltmächte bedurft, um sich diesen Alpdruck von der Seele zu schaffen. Aber irgendwann war es gut damit und die Sinne wieder frei für das erbärmliche kleine großartige Leben. Und für den alten Bekannten Gevatter Tod. Und für die Studentinnen, die sie bis zum Herzinfarkt mit Begeisterung an der Uni in Kunst unterrichtete. Und natürlich für ihren Hund. Der sie seit jeher anregt zu ihren lustigen Bildern vom Dasein als Hund. Ein ganz wundervolles Tier, das lachend durch ein bunt collagiertes Leben läuft. Da hält selbst der Tod in seinem tristen Geschäft inne. Und schaut ein wenig neidisch darauf, welche schönen Dinge das Leben hervorbringen kann. Franco Zotta

Eine Ausstellung mit Bildern von Janet Fruchtmann wird am 5. Juli um 18 Uhr in der Galerie Reinfeld (Am Weidedamm 7) eröffnet