: Deutsche Bahn fährt mit Ersatzreifen
Die DB rüstet alle Züge der ICE-1-Generation mit neuen Rädern aus. Zwei Wochen nach dem Desaster in Eschede bangt die Bahn um Kunden, die von den als unsicher geltenden Radreifen abgeschreckt werden ■ Von Heike Spannagel
Berlin (taz) – Die Deutsche Bahn AG läßt sich das Vertrauen ihrer Kunden einiges kosten: Sie tauscht alle Räder der ersten ICE- Generation seit Sonntag gegen neue aus, obwohl die angeblich vollkommen intakt sind. Das sei eine reine Vorsichtsmaßnahme, sagte Bahnsprecher Martin Katz gestern. Die betroffenen 59 ICE waren bereits vor zwei Wochen nach dem Unglück von Eschede auf mögliche Schwachstellen in den Rädern geprüft worden. Am vergangenen Samstag zog die Bahn ihre Hochgeschwindigkeitszüge zum zweiten Mal aus dem Verkehr.
„Uns geht es vor allem darum, das Vertrauen unserer Kunden zurückzugewinnen“, sagte Katz zu der eilig initiierten Aktion der Deutschen Bahn. Denn am Wochenende wurde bekannt, daß bei einer städtischen Bahngesellschaft ebenfalls Räder gebrochen waren. Dabei handele es sich nicht um die Hamburger S-Bahn, wie bislang gemeldet, sondern um eine Bahngesellschaft, die nicht der Deutschen Bahn gehöre. Richtig sei allerdings, daß auch in Hamburg 25 S-Bahn-Züge eingezogen wurden, um sie mit neuen Rädern zu versehen. Bislang war die Bahn AG davon ausgegangen, daß der Bruch des Unglücksrads von Eschede ein Einzelfall gewesen war.
ICE-Züge der ersten Generation sind sowohl mit Vollrädern als auch mit Rädern mit auswechselbaren Radreifen aus Stahl und Gummi ausgestattet. Ein gebrochener Radreifen dieses Typs gilt als Ursache des Zugunglücks von Eschede. Sämtliche gebrauchten Radreifen würden jetzt durch sogenannte Monoblockräder oder durch fabrikneue Radreifen ersetzt, sagte Katz. Allerdings seien der Deutschen Bahn keinerlei Mängel bekannt. Die Ultraschalluntersuchungen nach dem Unglück von Eschede seien ausreichend gewesen. Damals hätten die Kontrolleure keine Fehler festgestellt.
Zwei ICEs sind bereits in der Nacht zum Montag umgerüstet worden und verkehren seit gestern wieder auf den Schienen. Die restlichen 57 Züge sollen jetzt nach und nach neue Räder bekommen – pro Zug müssen 96 Räder ausgewechselt werden. Wie lange die Umrüstung dauern wird und wieviel Geld die Deutsche Bahn diese Aktion kostet, sei noch nicht abzusehen, meinte Martin Katz.
Für die Strecken Hamburg– Frankfurt–Basel, Hamburg– Würzburg–München und Berlin– Frankfurt–München gilt vorerst ein Ersatzfahrplan. Anstelle der ICE-1 verkehren rund 120 Ersatzzüge. Die DB rechnet mit Verspätungen von 20 bis 30 Minuten pro Zug. Der bevorstehende Urlaubsverkehr sei davon kaum betroffen, meinte Katz. Die Urlauber würden meist in andere Richtungen reisen.
Auch die Fluggesellschaften rechnen nicht damit, daß Bahnkunden durch das ICE-Unglück auf das Flugzeug umsteigen. Weder die Lufthansa noch die Deutsche BA können bisher eine Zunahme im innerdeutschen Luftverkehr feststellen. Selbst auf der Strecke München–Hamburg, die jede Woche etwa 13.000 Passagiere fliegen, hat es in den vergangenen Tagen keine zusätzliche Nachfrage gegeben. „In wenigen Monaten wird das Unglück vergessen sein“, prognostizieren übereinstimmend die Sprecher der Fluggesellschaften. Auch nach Flugzeugabstürzen gingen die Zahlen der Fluggäste nicht merklich zurück.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen