: Lärmflüchtlinge müssen spazieren gehen
Fuhlsbüttel: Fluglärmgegner klagen gegen Erweiterung des Flughafens ■ Von Heike Haarhoff
„Da läuft einem die Galle über.“ Elsa Stoltze aus Langenhorn bebt vor Wut, wenn sie daran denkt, welche Mieteinnahmen ihr jeden Monat entgehen. Denn in ihr „schönes Fünffamilienhaus mit gepflegtem Garten“ will niemand einziehen: Die Rentnerin wohnt 500 Meter vom Flughafen Fuhlsbüttel entfernt mitten in der Einflugschneise.
Wenn der Airport wie geplant ausgebaut wird, und dazu hat die Wirtschaftsbehörde vor drei Wochen grünes Licht gegeben, wird die Lärmbelastung noch unerträglicher werden und der Verkehrswert ihres Grundstücks noch mehr sinken, befürchtet sie. Deswegen wird Elsa Stoltze gegen die Genehmigung für 23 zusätzliche Flugabfertigungspositionen (insgesamt dann 65) klagen. „Das sollten alle tun, die den Ausbau verhindern oder zumindest nachträglich Schallschutzmaßnahmen durchsetzen wollen“, ermunterte gestern der Hamburger Rechtsanwalt Michael Günther.
Die Hamburger Bürgerinitiative gegen Fluglärm (BIG) und die Norderstedter Interessengemeinschaft (NIG) sind in jedem Fall dabei. Insgesamt können nach Angaben der Wirtschaftsbehörde 200.000 Menschen potentiell vors Oberverwaltungsgericht ziehen, weil sie durch den Fluglärm belastet werden, 30.700 davon erheblich. Die Klagefrist läuft am 22. Juli ab.
Günther und sein Kollege, BIG-Anwalt Claus Schülke, schätzen den Klageerfolg ihrer Mandanten aussichtsreich ein. Denn die Lärmbelastung, die der Genehmigungsbescheid veranschlage, „ist viel zu niedrig angesetzt“. Denn die Genehmigungsbehörde gehe von „sehr niedrigen Verkehrsmengen aus“, die selbst den Prognosen des Flughafens widersprächen: So schätzt dieser die Zahl gewerblicher Flüge im Jahr 2010 auf 195.000; die Behörde dagegen geht von nur 172.000 aus.
So oder so aber werde die Grenze der „Zumutbarkeit“ überschritten, kritisierte Günther. Denn selbst nachts zwischen 22 und 1 Uhr darf ein Maximalpegel „von mehr als 90 Dezibel“ überschritten werden, ohne daß die Anwohner „Anspruch auf passiven Lärmschutz haben. Das entspricht dem Lärm eines Preßlufthammers oder der Vorbeifahrt eines D-Zuges“. Außerdem werde ihnen zugemutet, Dauerschallpegel bis zu 70 Dezibel – entspricht einem Motorrasenmäher in sieben Metern Entfernung – selbst in der ruhebedürftigen Zeit von 19 bis 22 Uhr auszuhalten.
„Verwerflich“ findet Anwalt Schülke, „wie mit alten Menschen umgegangen wird“: Im Planfeststellungsbeschluß empfiehlt die Behörde besonders Lärmempfindlichen, ihren Tagesablauf so zu gestalten, daß sie den Zeiten extremer Belastung „ausweichen“, indem sie sich nicht zu Hause aufhalten. „So viel kann ich gar nicht spazierengehen“, nimmt es Rentnerin Stoltze humorvoll. Anwalt Michael Günther dagegen prophezeit Hamburg eine neue Gruppe Schutzbedürftiger: „die Lärmflüchtlinge“.
Bürgerversammlung: 18.6., Gymnasium Alstertal, Erdkampsweg 89, 19.30 Uhr
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