Mon Dieu Mondial
: Ich bin ein Konny Weise!

■ Guten Tag! Deutschland! Zweizunull! Die Welt rechnet mit deutscher Beständigkeit

Als ich noch in meinem Jugendzimmer aus dem VEB Raumgestaltung Cottbus lebte, war mein Leben sehr abwechslungsreich. Man sah das an den Plakaten und Bildern in meiner cirka sieben Quadratmeter großen Neubauzelle, die wenigstens alle paar Monate mit jugendlicher Entschlossenheit ausgetauscht wurden. Auf Udo Lindenberg (aus einer geschmuggelten Bravo) folgte Stern Combo Meißen, Che Guevara natürlich und schließlich die halbnackte Julia Koberstein aus dem neuen leben. Nur ein einziges Bild überstand viele Jahre unbeschadet und wurde nicht schnöde fallengelassen. Es

Andreas LEHMANN

Sein Spieler: Mehmet, äh, sorry: Steffen Freund

Sein Team: Deutschland (weil: „Wenn was von vorn über hinten läuft, geht's meistens über rechts“, sagt Gerd Rubenbauer)

Sein Weltmeister: Deutschland (wegen Muster an Beständigkeit respektive Beständigkeit des Musters)

Tägl. WM-Konsum: nimmt zu

war der Titel einer Ausgabe der Fußball-Woche: „Konrad Weise – ein Muster an Beständigkeit“ stand da, dazu ein Ganzkörperfoto der DDR-deutschen Ausgabe des Fußballterriers.

Ich weiß nicht, wem Konrad Weise noch etwas sagt. Heute, da Ballermänner wie er nicht mehr beinharte respektive knochenharte Verteidiger heißen, sondern gleich Fußballgötter. Aber schon damals waren sie rackernde Fußballarbeiter, Menschen, von denen man sagt, daß sie „unverzichtbar“ für eine Mannschaft seien. Konrad Weise war einer von ihnen, und er war der beste, zumindest auf Oberliganiveau. Er spielte in der Zeit, als der FC Carl Zeiss Jena noch ins „nichsozialistische Wirtschaftsgebiet“ (NSW) zum Europapokalspiel nach Bastia fuhr. Weise war das fleischgewordene Lob der Arbeit, des Fleißes und natürlich der Bescheidenheit. Sicher, ich mochte zwischenzeitlich auch Johan Cruyff, Zico oder Mario Kempes, letztlich aber kehrte ich insgeheim immer wieder zurück zu Konrad Weise. Das ist wie mit dem Ort, an dem man groß geworden ist: Zeit seines Lebens haßt und verleugnet man ihn, und am Ende wird es einen doch in ein schönes Seniorenheim drei Häuser weg vom Bolzplatz der Kindheit verschlagen.

Klar möchten wir manchmal sein (und aussehen) wie Luis Hernandez, aber tief im Innern habe wir diese Affinität zu den deutschen Tugenden, zum Kraftvollen, zum Den-Gegner- ständig-unter-Druck-Setzen, zum Zermürben des anderen. Mustergültig und beständig. Übrigens fahren wir ganz gut damit: Dieser Fußball, diese Männer, diese Art zu spielen sind die Garantie dafür, daß wir letztlich immer ganz oben mitmischen, und bekanntlich ist nichts erotischer als der Erfolg.

Und: Mit dieser Beständigkeit rechnet die Welt, und wir rechnen mit ihr. Am Tag der WM-Eröffnung weilte ich unglücklicherweise fern der Heimat, allein, ohne WM-Berichterstattung in der Kreuzfahrerstadt Akko. Dort brüllte ein arabischer Saftverkäufer auf offener Straße den deutschen Touristen unvermittelt entgegen: „Guten Tag! Deutschland! Klinsmann! Matthäus!“ Er grinste sehr breit, und ich wußte, ich gehöre dazu. Meine Heimat ist eine beständige Größe im Getriebe der Welt, anerkannt und geachtet im fernen Land, ich bin aufgehoben in einer Schicksalsgemeinschaft. Auch sah ich die bewundernden Blicke der Frauen; Hernandez wird nicht mehr lange lachen. All das haben wir nicht Klinsmann zu danken, sondern den Dieters und Steffens. Deshalb sollten wir uns selbst annehmen und rufen: Ja, ich bin ein Dieter Eilts, ich bin ein Steffen Freund, ich bin ein Konrad Weise!

Den WM-Start konnte ich so in aller Ruhe verpassen, das deutsche Eingreifen mit Gelassenheit auf mich zukommen lassen. Zum ersten Spiel war ich wieder zu Hause. Guten Tag! Deutschland! Zweizunull! Bester Mann auf'm Platz: Jens Jeremies. Wenn ich nur wüßte, wo mein Konny-Weise-Poster ist, ich würde es jetzt aufhängen. Andreas Lehmann

Der Autor lebt als Journalist in Berlin und war seinerzeit Ergänzungsspieler in der C-Jugend der BSG Energie Cottbus