piwik no script img

■ QuerspalteDie Pille gegen die Pille

Historiker späterer Generationen werden unsere Epoche einmal den Ballagagaismus nennen. Oder so ähnlich. Jedenfalls rennen sie bei der Geldmeisterschaft in Frankreich hinter den Kugeln her, und die Zeitung schlagzeilt: „Vergeßt Viagra, jetzt haben Männer endlich die wahre Pille“.

Nun gut, wenigstens lassen sie mit ihrem suchtkranken Fußballwahn und dem Verzicht auf medikamentöse Dauererektionen ihre armen Weibchen in Ruhe. Die leiden denn halt passiv. Und apportieren in serviler Co-Abhängigkeit Bier und Fluppen zum Drogencocktail vors TV. Der molchdumme Sender DSF wirbt derweil so: „Klar, Schatzi, ich hab' dich lieb. Aber auch mittags ist WM... So ist das eben: Man(n) muß Prioritäten setzen.“ Und immer wieder sind da diese angedeuteten Zweideutigkeiten um das temporäre Zölibat der Herren Ballbeweger: „Wenn wir meinen“, so Englands Chef-Coach Hoddle am Wochenende, „die Spieler haben es nötig, dann lassen wir ihre Frauen und Freundinnen herholen, um die Jungs wieder hochzukriegen.“ Lassen herholen! Oh god, mögen die Insulaner bald ausscheiden.

Am Fußball, heißt's, läßt sich der Zustand der Gesellschaft ablesen. So dämlich platt und sexistisch war es vor vier Jahren noch nicht. Selbst der WDR-Hörfunk kommt uns mit Serien von dümmlichen Analogismen von Ball und Liebemachen: Bettszene, sie haucht: „Schatz, wie steht's?!“ Und gleichzeitig wollen Frauen heute genauso ballaballa sein wie die Kerle.

Noch ist das Fußballdope frei und umsonst zugänglich. Doch es ist die erste einstmals freie Droge, die plötzlich kosten wird. Bald schon. Viel Geld. Geld der User für pay per view, pay per pass, pay per Fehlpass. Dann wird es Raubmorde der Decoderlosen geben, ja Drogenprostitution übelster Art. Wollen wir das? Was not tut, ist eine wirklich funktionierende Entziehungstherapie all derer, die auf Fußball sind. Doch wie wird der Fußball-Junkie tatsächlich clean? Wer entwickelt das kickotinellartige Nieballda, die Pille gegen die Pille? Herr, laß Methadon regnen! Bernd Müllender

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen