Freunde spionieren nicht

■ Bonn warnt vor Ost-Industriespionage und spielt die Tätigkeit der West-Dienste herunter

Berlin (taz) – Wenn die Bundesregierung heute den Innenausschuß des Bundestages über die Gefährdung der Wirtschaft durch Industriespionage unterrichtet, dann werden sich einige der Ausschußmitglieder verwundert die Augen reiben. Denn der 32seitige Bericht, den der Staatssekretär Kurt Schelter aus dem Innenministerium vorlegt, spielt die gegenseitige Wirtschaftsspionage unter den führenden Industrienationen gezielt herunter.

Weltweit sind die Zeitungen voller Berichte, in denen die Industrienationen sich gegenseitig der illegalen Ausschnüffelung bezichtigen. Der US-Geheimdienst soll zum Beispiel die Rechner der Europäischen Union auf der Suche nach Wirtschaftsdaten geknackt haben. Den französischen Kollegen wird im Gegenzug nachgesagt, daß sie die Gespräche von Geschäftsreisenden in den Air- France-Flugzeugen zwischen Paris und New York systematisch überwachen. Allein in der Bundesrepublik wird von Experten der Schaden durch die Wirtschaftsspionage auf jährlich zwischen 18 und 20 Milliarden Mark geschätzt.

Die Bundesregierung vermeidet in ihrem Bericht, die Akteure beim Namen zu nennen. Verschämt wird über die Spionage der „hochentwickelten Industriestaaten“ berichtet. Und als erstes werden Gründe dafür aufgeführt, warum das gegenseitige Ausspähen heute nicht mehr angesagt sein soll. Zum Beispiel mit dem Argument: „Gerade die wichtigsten Firmen eines Landes sind oft als ,Global Player‘ multinational strukturiert... Die starke Verflechtung macht es im wirtschaftlichen Sinne oft nicht mehr möglich, zwischen einheimischen und ausländischen Unternehmen klar zu trennen.“ Ganz vorsichtig heißt es in dem Bericht dann aber weiter: „Dennoch ist die Auffassung verbreitet, es gebe wichtige Bereiche, in denen Wirtschaftsspionage möglich und auch wirksam sei.“ Aufgelistet werden unter diesem Konjunktiv die „Unternehmens- und Marktstrategien“, für die Konkurrenz interessante „Schwerpunktbildungen bei der Produktion“ und „Preisgestaltung und Konditionen“ sowie „Zusammenschlüsse und Absprachen von Unternehmen“. Auf der einen Seite weist die Bonner Regierung in dem Rapport darauf hin, keine gesicherten Erkenntnisse über die Wirtschaftsspionage „befreundeter Dienste“ zu haben. Gleichwohl führt sie aber aus, „daß es in vielen Fällen nicht des Einsatzes menschlicher Quellen bedarf, um die nötigen Informationen zu erhalten“. Einen großen Teil der „interessierenden Informationen dürften diese Staaten durch die – kaum Spuren hinterlassende – elektronische Aufklärung beschaffen“. Ganz anders sieht die Bundesregierung die Situation bei den „technisch weniger fortgeschrittenen Staaten“. Deren Wirtschaftsspionage verfolge als Ziel die „Beschaffung von technischen Know-how, um der eigenen Industrie Entwicklungskosten bzw. Lizenzgebühren zu ersparen“. Darüber hinaus dienten die Anstrengungen der „Beschaffung von Produktvorlagen oder Fertigungstechniken, um gegenüber den weiter entwickelten Staaten mit kostengünstiger gefertigten Nachbauten auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig zu sein“. Die technisch weniger fortgeschrittenen Staaten sind vor allem Rußland, die Länder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) und China. Hier spricht Bonn von einem „großen Gefahrenpotential“, Rußland habe „auf diesem Gebiet nahezu den Standard der ehemaligen Sowjetunion erreicht“. Wolfgang Gast