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Große Kunst im Superdiscount

■ Kirremachend und hyperventilierend: Im No-Budget-Wettbewerb des Internationalen Hamburger Kurzfilmfestivals sind zum Teil erstaunliche Kleinstproduktionen zu sehen

Was ist eigentlich ein Kurzfilm? Klar: ein Film, bei dessen Sichtung man kaum eine Tüte Popcorn verdrückt bekommt. Aber jenseits der Dauer gibt es keine festen Kriterien. Anything goes, von der einfach nur zeitlich komprimierten Großproduktion bis zum Kleinst-Opus auf der geborgten Video-Kamera. Wer will, kann aber auch das Präfix „kurz“ im Sinne von „kurzen Wegen“ deuten. Unmittelbarkeit ist eine Eigenschaft, die vielen der auf dem Internationalen Hamburger Kurzfilmfestival gezeigten Arbeiten aufweisen. Aber natürlich sind es meist die billig produzierten Filme, die gleichsam die vor der Haustür gefundene Lebenswirklichkeit besonders eindringlich verarbeiten. Kostenneutral und extrem subjektiv.

Die vermittelten Einsichten sind teilweise erstaunlich. Denn manchmal können sich aus geradezu privater Perspektive eigentümliche Panoramen entwickeln. Rue Francis des Franzosen Fracois Vogel ist hierfür ein gutes Beispiel: Indem der Filmemacher mit absurd anmutenden Zooms von seinem Wohzimmer auf die Straße zappt, stellt er die Ordnung von Intimität und Öffentlichkeit auf den Kopf. Die dabei freigelegte Dynamik macht den Betrachter kirre.

Das machen natürlich fast alle der Produktionen, die auf dem Kurzfilmfestival in den sechs separaten No-Budget-Sektionen präsentiert werden. Große Kunst zu kleinen Preisen, könnte im Stil einer Supermarkt-Ansage das Motto lauten, und die Discount-Philosophie der Billig-Filmer zeitigt manchmal eigentümliche Erkenntnisse. Spaß bereiten sie eigentlich immer. Vorhandene Stoffe werden von den Künstlern demoliert, dekonstruiert und – manchmal – rekontextualisiert. Wie in den hyperventilierenden Streifen von Martha Colburn, die gleich zweimal im No-Budget-Wettbewerb vertreten ist. In Zig Zag reanimiert die Amerikanerin Standardtänzer aus historischen Filmen zum besoffenen Trashbilly der Jaunties, für ihr kaum zwei Minuten langes What's On setzt sie den geilen Bildermüll aus Fernsehdokumentationen zu einer aggressiven Collage zusammen.

Der Trash-Quotient ist in der No-Budget-Reihe natürlich besonders groß, ganz im positiven Sinn übrigens. Der Cowboy-Verein in der Eckkneipe, ein Club für Pudelfreunde, Pro-Raucher-Spots – erlaubt ist alles, und es erfreut, daß die meisten Kleinstfilmer sich nicht auf dem Skurrilitätsbonus ausruhen. Die polieren den Schrott auf Hochglanz.

Christian Buß

Heute abend, am 18. Juni, laufen die „No-Budget“-Programme im Schlachthof (17.30 Uhr) und Metropolis (20 + 22.30 Uhr). Die anderen Daten entnehmen Sie bitte dem an den Kinokassen ausliegenden Programmen.

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