: Narrenfreiheit für Radiologen
Vor fünf Jahren wurden die Ausmaße des UKE-Strahlenskandals erstmals bekannt. Patientenanwalt Wilhelm Funke zieht Bilanz ■ Von Lisa Schönemann
Haben Strahlentherapeuten in der Hansestadt Narrenfreiheit? Patientenanwalt Wilhelm Funke meint, nein. „Strafrechtlich gesehen hat der UKE-Strahlenskandal bislang für die Ärzte keinerlei Konsequenzen gehabt“, erklärte er gestern. Der Mann weiß, wovon er spricht. Seit fünf Jahren kämpft Funke für die falsch bestrahlten und schwer geschädigten PatientInnen. Sein Fazit: „Junge Mediziner können daraus ableiten, daß sie es nach mißlungenen Experimenten nicht zwingend mit der Staatsanwaltschaft zu tun bekommen.“
„Auch die Stadt schiebt die fällige Regulierung der Schadensfälle weiterhin vor sich her“, kritisiert Funke. Hamburg wird an die geschädigten PatientInnen zwischen 70 und 80 Millionen Mark Entschädigungen zahlen müssen – kein Pappenstiel bei der derzeitigen Haushaltslage. Das Ansinnen, die Schadensbegleichungen von einer Legislaturperiode auf die nächste zu „vertagen“ hat die Angelegenheit für die Stadt eher verteuert. Nach Bekanntwerden diverser Gerichtsurteile haben seit 1995 immer mehr ehemalige PatientInnen der Radiologie und der strahlentherapeutischen Abteilung der Frauenklinik am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) Ansprüche geltend gemacht. Ob die Versicherungen sich an den Schadensersatzzahlungen beteiligen, ist unklar.
Bislang haben nur 159 der insgesamt 370 PatientInnen Zahlungen erhalten, insgesamt rund 25 Millionen Mark. Unter den Wartenden ist beispielsweise eine 50jährige Frau, die sich wegen eines Unterleibstumors in die Uniklinik begeben hatte. Aufgrund zu hoher Bestrahlung lösen sich nun ihre Beckenknochen langsam auf. Viele PatientInnen erlitten schwerste Verbrennungen und andere qualvolle Nebenwirkungen.
„Eigentlich ist der Sachverhalt seit 1995 klar“, davon ist der Patientenanwalt nach wie vor überzeugt. Dem vom Dienst suspendierten Radiologen Klaus-Henning Hübener wird vorgeworfen, mit der sogenannten Sandwichmethode ein Experiment vorgenommen zu haben, über dessen Risiko die PatientInnen nicht ausreichend aufgeklärt waren. Der Leiter der gynäkologischen Strahlentherapie, der inzwischen pensionierte Professor Hans-Joachim Frischbier, soll dagegen nach einer veralteten Methode vorgegangen sein.
Wäre es vermehrt zu außergerichtlichen Einigungen gekommen, hätten zumindest die immensen Gerichtskosten gespart werden können. Stattdessen heuerte die für das UKE verantwortliche Wissenschaftsbehörde unter Senator Leonhard Hajen (SPD) einen Gutachter nach dem anderen an. Viele PatientInnen warten seit über fünf Jahren auf eine angemessene Entschädigung. Einige sind darüber an den Folgen der Strahlenbehandlung verstorben.
Dabei hatten Wilhelm Funke und sein Kanzleikollege Michael Oltmanns bei ihrer Arbeit zwei Ziele vor Augen: „Die Menschen sollten zu Lebzeiten ihr Geld bekommen.“ Ebenso wichtig ist den Anwälten, Gesundheitspolitiker auf die Strukturen aufmerksam zu machen, die beim UKE-Skandal Pate gestanden haben. Nach Funkes Einschätzung sind rund 86 Prozent der Schadensfälle im sogenannten Frischbierkomplex in der Gynäkologie aufgrund völlig veralteter Methoden entstanden.
Funke sieht in der „professoralen Allmachtsstellung“ eine „wesentliche Ursache für die fehlende Anpassung an die Entwicklung in der Medizin“. Die Verantwortlichen müssen sich die Frage gefallen lassen, ob die Organisationsstrukturen, insbesondere im UKE, nicht völlig zerschlagen werden müssen. Nur so, ist Funke überzeugt, „können sich junge und hochbegabte Wissenschaftler ohne nachhaltige Beeinträchtigung ihrer beruflichen Karriere trauen, neue medizinische Erkenntnisse offen zu diskutieren und etwaige veraltete Methoden zu kritisieren“. Im Krankenhaus Barmbek und, in abgeschwächter Form, auch im UKE wurden immerhin inzwischen Gremien geschaffen, die Kritik an der ärztlichen Arbeit aufgreifen sollen.
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