Sakić kommt in Kroatien vor Gericht

Argentinien liefert den ehemaligen Kommandanten des Konzentrationslagers Jasenovac an sein Heimatland aus. Sein Fall wirft die Frage des Umgangs mit der eigenen Geschichte und dem Ustascha-Regime auf  ■ Von Barbara Oertel

Berlin (taz) – Kroatiens Präsident Franjo Tudjman hätte wohl einiges dafür gegeben, die Akte Dinko Sakić endgültig schließen zu können. Doch jetzt wird Kroatien doch noch von seiner Geschichte eingeholt. Gestern sollte der heute 76jährige Sakić, der als Kommandant des Konzentrationslagers Jasenovac zur Zeit des mit Hitler und Mussolini verbündeten Ustascha- Regimes (NDH) für den Tod mehrerer tausend Gefangener verantwortlich sein soll, in seiner alten Heimat eintreffen.

1942 übernahm der aus Slavonski Brod stammende Sakić als Kommandant für zwei Jahre die Leitung des berüchtigten Lagers Jasenovac. Juden und Roma, vor allem aber Serben wurden in das Lager verschleppt und dort liquidiert. Wie viele Menschen wirklich in Jasenovac ermordet wurden, ist bis heute unklar. Schätzungen gehen von 80.000 bis 500.000 Opfern aus.

Im Herbst 1947 gelang Sakić die die Ausreise nach Argentinien. Dort trat er 1955 in die peronistische Partei ein. Die ersten zehn Jahre in Argentinien verbrachte Sakić in der Stadt Rosario und nahm die argentinische Staatsbürgerschaft an. Von 1956 bis 1959 lebte er in Spanien, wo er mit dem ehemaligen Ustascha-General Luburić in der Führung des „Nationalen kroatischen Widerstandes“ arbeitete. 1959 kehrte Sakić nach Argentinien zurück, wo er jahrzehntelang unbehelligt blieb.

Doch an Möglichkeiten, der Person Sakić habhaft zu werden, mangelte es seit Beginn der 90er Jahre nicht. 1990 nahm Sakić an einer Gedenkfeier im österreichischen Bleiburg teil, wo Tito-Partisamen 1945 Tausende Kroaten umgebracht hatten. Er würde alles, was er getan habe, nochmals tun und habe stets als guter Christ gehandelt, diktierte er einem Journalisten in den Block. Und: „Ich schäme mich meines Namens nicht, ich bin sehr stolz auf ihn.“

Sakić ist bis heute von seinem Tun überzeugt

1994 traf sich Sakić mit Präsident Tudjman, als sich der zu einem Staatsbesuch in Argentinien aufhielt. Tudjman bestreitet die Begegnung. Im Sommer des darauffolgenden Jahres reiste Sakić unter seinem richtigen Namen zu einem Kurzbesuch nach Kroatien. Vor zweieinhalb Monaten spürte ein Fernsehteam Sakić in der argentinischen Küstenstadt Santa Teresita auf. Auf ein Zeichen von Reue warteten Überlebende erneut vergebens.

Im Gegenteil: Nach wie vor ist Sakić von der Richtigkeit seines Tuns überzeugt und will von Hinrichtungen im Todeslager nichts wissen. „In Jasenovac herrschte Selbstverwaltung. Wir mischten uns nicht ein und hielten nur die äußere Sicherheit aufrecht“, sagte er im argentinischen Privatsender Canal 13. „Die Leute starben eines natürlichen Todes. Es gab beispielsweise eine Typhusepidemie, aber keine Verbrennungsöfen, in denen jemand getötet wurde.“

Mit dem Prozeß gegen Dinko Sakić erlebt Kroatien den zweiten Versuch einer juristischen Aufarbeitung des NDH-Regimes. Bereits im Jahre 1988 stand mit dem ehemaligen Innenminister Andria Artukolić einer der führenden Köpfe des Ustascha-Regimes vor Gericht. Artukolić wurde zu lebenslänglicher Haft verurteilt und starb ein Jahr später im Gefängnis.

Der Prozeß als Chance für die Wahrheitsfindung

Daß der Fall Sakić die Gemüter in Kroatien erhitzen wird, steht außer Frage. Nicht umsonst beklagen Intellektuelle seit längerem einen unverhohlenen „Rückfall in alte Zeiten.“ So wurden nach der Unabhängigkeit Kroatiens Staatssymbole aus der Zeit des Ustascha-Regimes wieder eingeführt. Und Straßen und Plätze, beispielsweise in der Hauptstadt Zagreb, erhielten die Namen bekannter Führer der Ustascha-Bewegung.

Nicht zuletzt geht es aber auch um die Person Tudjman selbst. Der Präsident tut sich in seinen Abhandlungen zur kroatischen Geschichte mit einer unsäglichen Arithmetik bezüglich der Opferzahlen des KZ in Jasenovac hervor. Dies veranlaßte die kroatische Schriftstellerin Slavenka Drakulić zu der Äußerung: „Als Präsident sieht er sich selbst als Herr der Geschichte, der sie auslegt oder vertuscht, ganz nach Gusto.“

Trotz aller Skepsis sieht Ivo Janić, Chefredakteur der Zeitschrift Erasmusin dem bevorstehenden Prozeß gegen Dinko Sakić eine Chance für Kroatien und die kroatische Gesellschaft. Allerdings nur dann, wenn auch die Regierung den Fall Sakić als eine Chance zur Wahrheitsfindung und zur direkten Konfrontation mit der Geschichte begreife. „Wichtig dabei ist, daß weder die Taten des Ustascha-Regimes heruntergespielt werden noch dem kroatischen Volk eine Kollektivschuld zugewiesen wird“, sagt Janić.

Und für die Zagreber Historikerin Andrea Feldmann hat Kroatien jetzt die Möglichkeit, unter Beweis zu stellen, daß es eine unabhängige Rechtsprechung gibt und das Land sich in Richtung Demokratie bewegt. Für die kroatische Gesellschaft sei es von großer Bedeutung, mit der eigenen Geschichte konfrontiert zu werden. „Dieser Prozeß wird uns auch dabei helfen, mit den jüngsten Kriegsverbrechen anders umzugehen.“