: Berlin ohne Spione
■ Polizeilicher Staatsschutz: Zweifel an Version vom Zentrum der Industriespionage
Berlin (taz) – So schlimm, wie vom Bonner Innenministerium behauptet, kann die Wirtschaftsspionage in der Bundesrepublik gar nicht sein. Das behauptet wenigsten der polizeiliche Staatsschutz beim Berliner Landeskriminalamt.
Schriftlich teilte Mitte der Woche die Bundesregierung dem Innenausschuß des Bundestages mit, „daß die Bundesrepublik Deutschland nach wie vor bevorzugtes Operationsgebiet und Ausspähungsziel fremder Nachrichtendienste ist“, wobei die Wirtschaftsspionage einen „zunehmenden Stellenwert“ einnehme.
Aus Bonner Sicht – und die stützt sich überwiegend auf die Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden – sind vor allem Rußland und China eifrige Industriespione.
Ganz anderes läßt sich über die Bedrohungslage hingegen in einer internen Analyse der Berliner Polizei über die „Kriminalitätsentwicklung im Jahre 1997 beim polizeilichen Staatsschutz“ nachlesen. Unter der Überschrift „Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsbehörden“ gehen die Berliner Beamte in ihrem Papier („Nur für den Dienstgebrauch“) mit ihren Kollegen vom Verfassungsschutz hart ins Gericht.
Süffisant merken sie an: Die äußerst geringe Zahl der seit dem Jahr 1995 vom Verfassungsschutz an das Landeskriminalamt abgegebenen Spionagefälle sei mit den öffentlichen Verlautbarungen „nicht annähernd“ in Einklang zu bringen , die Berlin „als Zentrum ausländischer Spionage“ sehen und insbesondere auf russische Spionageaktivitäten hinweisen. Ausdrücklich verweisen die Berliner Polizisten dabei auf die Mitteilungen der Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) in Brandenburg und Berlin aus dem vergangenen Jahr.
Nahezu sarkastisch klingt die Schlußfolgerung: Von polizeilicher Seite könne „daher nur zum wiederholten Male die Erwartung zum Ausdruck gegeben werden, daß – wie bereits mehrfach vom Berliner LfV zugesagt – einige der angeblich dort erkannten zahlreichen Spionagefälle tatsächlich an die Exekutive abgegeben werden“.
Für Renate Künast, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und Vertreterin der Bündnisgrünen im Verfassungsschutzausschuß des Landes, belegt der Polizeibericht denn auch, wie eine Gefährdungslage durch Wirtschaftsspionage künstlich herbeigeführt wird.
Reine „Arbeitsbeschaffung für den Verfassungsschutz“, urteilt die Bündnisgrüne – und in diesem Fall dürfte ihr der Berliner Staatsschutz recht geben. Wolfgang Gast
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen