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Seemannsgarn um Irakis

■ In Bremerhaven kursieren Schauergeschichten um Embargo-Frachter / „Unsinn“

12,50 Mark für eine Hafenrundfahrt ist okay. Das Wetter ist schön, die Sonne lacht und dann mit so einer Barkasse mit dem hübschen Namen „Hein Mück“ durch die Kaiserhäfen, das Wendebecken und andere Umschlagplätze der Stadt Bremen im Bremerhavener Feindesland zu schippern, das kann einem schon mal einen runden Zehner wert sein. Also, Ticket gekauft und ab geht die Tour. Hindurch zwischen riesigen Pötten, die vom Wasser wie gigantische Stahlkolosse vor dem Barkassentourist in den Himmel ragen – beeindruckend.

Aber dann die Sensation. Es läuft einem ein kalter Schauer den Rücken herunter. Bilder von Flugzeugträgern, Panzern im Wüstensand und zerstörte Häuser in Kuwait tauchen vor dem inneren Auge auf. Der Barkassenkäpt'n schippert nämlich im Kaiserhafen 1 ausgiebig um die „Al-Zahraa“ herum. „Der Ro-Ro-Frachter liegt seit dem irakischen Einmarsch in Kuwait in Bremerhaven an der Kette – das UNO-Embargo“, snackt der Barkassenrudergänger mit den Touris, die große Augen machen. „Jetzt wird der Kahn aber bald zwangsversteigert, weil die Iraker die Hafengebühren nicht bezahlen.“ Summen in sechsstelliger Höhe sind angeblich schon aufgelaufen. Und wie gemein diese Mullahs sind, outet der Barkassist anhand der Al-Zahraa-Besatzung: „Zwei von den armen Teufeln sitzen immer noch an Bord und passen auf den Frachter auf.“ Und tatsächlich: Hinter einem halb verrosteten Schott blinkt eine einsame Glühbirne, auf dem Oberdeck steht ein Bullauge offen. Offensichtlich ist wirklich noch eine Notbesatzung an Bord. Seit acht Jahren, das ist wirklich die Höhe. Das finden auch die Besucher von Bremerhaven. „Diesen Irakis hätte man schon längst den Kahn wegnehmen müssen“, erbost sich eine dicke, rotgesichtige Frau. „Einfach verkaufen den Pott, gar nicht erst fragen, was die UNO dazu sagt und ob das Embargo irgendwann mal aufgehoben wird.“ Andere Touristen nicken zustimmend. Und überhaupt, dann könnten die zwei armen Seeleute endlich heim. „Wer weiß, wann die das letzte Mal ihre Familien gesehen haben“, fragt sich die empörte Barkassengesellschaft.

Hafenkapitän Andreas Mai kann die Frage beantworten. „Vor einem halben Jahr“, sagt der Chef der Bremischen Häfen in Bremerhaven. „Dann wird die Crew wieder abgelöst. Anfangs hatten die immer nur einen Mann auf dem Schiff. Dann haben wir uns aber mit der Reederei in Verbindung gesetzt und seitdem sind immer zwei Iraker an Bord.“ Damit hat der Hafenkapitän immerhin schon mal das soziale Image der irakischen Reederei gerettet. Und im nächsten Satz das Wahrheits-Image des Barkassenkapitäns zerstört. „Was der Mann da erzählt, ist vollständiger Unsinn – reines Seemannsgarn. Die irakische Reederei zahlt sowohl die Hafengebühren, als auch Strom und Wasser für die Besatzung“, so Mai.

„Selbst eine anstehende Reparatur für den Dampfer haben die Irakis anstandslos bezahlt. Die ist im vergangenen Jahr notwendig geworden, weil Ventile in der Bordwand überprüft werden mußten“, erzählt der Hafenkapitän. In diesem Zusammenhang habe man sich an die Reederei gewandt, die wiederum einen Beauftragten nach Bremerhaven geschickt habe, um die anstehenden Reparaturen zu begutachten. „Dann wurden die Ventile neu abgedichtet“, so Mai. „Wir hatten Angst, daß das Schiff Schlagseite bekommt oder auf Grund sackt“, erläutert er den Grund für die Überprüfung.

Er will sich jetzt erst mal mit der Rundfahrtgesellschaft ins Benehmen setzen. „Das geht auch nicht, daß die so ein Seemannsgarn bei den Hafenrundfahrten erzählen“, sagt Mai. Recht hat er. Irgendwie stimmte von der Geschichte über den Irakfrachter nur der Name: „Al-Zahraa“ – die Rose. Jeti

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