: Unterhaltsflucht ist kein Kavaliersdelikt
Hamburg wird säumige Väter ab 1. Juli besonders rigide verfolgen ■ Von Christine Holch
„Es wirtschaftet sich sicherlich besser, wenn drei Personen in einer Wohnung leben statt in mehreren“, sagt Hannsdieter Ebersberger vom Jugendamt Eimsbüttel. Ebersberger kann den Frust von Männern * verstehen, denen nach Abzug des Kindesunterhalts nur noch der sogenannte Selbstbehalt von 1500 Mark bleibt. Und das, obwohl sie eigentlich doppelt so viel und mehr verdienen. Kein Verständnis hat Ebersberger aber, wenn der Frust in Wut auf die Frau umschlägt und die Männer einfach gar nicht zahlen. „Wir versuchen ihnen dann deutlich zu machen, daß es sich beim Unterhalt um die Ansprüche des Kindes handelt, nicht die der Frau. Das Kind kann doch überhaupt nichts dafür, daß die Eltern sich nicht verstehen.“
Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) schätzt, daß etwa ein Drittel der unterhaltspflichtigen Väter zahlt. Ein weiteres Drittel kann oft wegen Arbeitslosigkeit nicht zahlen. Das letzte Drittel will nicht zahlen. Unterhalt bekommen die Kinder und ihre Mütter dennoch, den legen die Unterhaltsvorschußkassen der Jugendämter bei zahlungsunwilligen Vätern aus. In Hamburg bekommen auf diese Weise fast 14.000 Kinder Geld.
Herauszufinden, wer nicht kann und wer nicht will, ist schwierig für die Jugendämter. Denn die Unterhaltsflüchtigen kennen alle Tricks: Der eine überträgt Firma und Haus der neuen Freundin, so daß nichts gepfändet werden kann. Der andere, ein Autoverkäufer zum Beispiel, läßt sich ein Mini-Gehalt auszahlen, lebt aber prima von Provisionen – die er nicht angibt. Und wieder andere tauchen einfach unter.
Bislang behinderte der Datenschutz in solch einem Fall die Recherchen von Jugendämtern und Müttern. Zum 1. Juli, mit dem neuen Kindesunterhaltsgesetz, wird er nun gelockert. Dann müssen nicht nur Renten- und Krankenversicherung den Unterhaltsvorschußkassen und Müttern Auskunft geben über die Einkünfte des Vaters, sondern auch private Lebensversicherungen und Finanzämter. Die Mütter müssen allerdings den Weg übers Gericht nehmen, um an die Daten zu kommen.
„Das Gesetz ist eine echte Verbesserung, vor allem für die Mütter“, sagt Rainer Rebentisch von der Hamburger Jugendbehörde. Denn die staatliche Vorschußkasse zahlt nur maximal sechs Jahre lang Unterhalt und auch höchstens bis zum Alter von zwölf Jahren. Danach müssen die Mütter selbst die Ansprüche des Kindes gegenüber dem Vater geltend machen.
In Hamburg geht es säumigen Vätern außerdem noch mit Hilfe einer neuen Verwaltungsvorschrift der Jugendbehörde an den Kragen. Ab dem 1. Juli muß ein Unterhaltspflichtiger in Hamburg selbst nachweisen, daß er nicht zahlen kann. Bisher war es umgekehrt, die Behörde mußte dem säumigen Vater nachweisen, daß er zahlen kann – ein sehr aufwendiges Verfahren. Hamburg gibt pro Jahr etwa 25 Millionen aus, die Väter zahlen nur 13 Prozent zurück. Es seien aber etwa 25 Prozent der Säumigen in der Lage zu zahlen, schätzt die Behörde.
Zahlt ein Vater nicht, obwohl er könnte, sollen künftig Mahn- und Vollstreckungsverfahren, zum Beispiel also Lohnpfändungen, „zügig“ eingeleitet werden. „Bislang ist das nur sehr schleppend passiert“, sagt Renate Richter-Völlinger von der Jugendbehörde. Bestand ein konkreter Verdacht auf böswilliges Nichtzahlen, habe es nur „ganz selten“ eine Anzeige auf Unterhaltspflichtverletzung gegeben. „Jetzt wollen wir klarmachen, daß das ein Straftatbestand ist und kein Kavaliersdelikt“, sagt Richter-Völlinger. Mit dieser „Rigidität“ des Verfahrens habe Hamburg im Bundesvergleich die Nase vorn.
Rund fünf Millionen Mark mehr hofft Hamburg auf diesem Weg wieder zurückzubekommen von den Vätern. „Das rettet den Hamburger Haushalt natürlich nicht“, sagt Sonja Deuter, GAL-Bürgerschaftsabgeordnete. „Das ist eher vergleichbar mit der Situation, mangels Geld zum Einkaufen die Pfandflaschen wegzubringen.“ Deshalb möchte sie, daß das Geld nicht in den Haushalt zurückfließt, sondern in einen Fonds. Der soll für jene Kinder dasein, deren Väter nicht zahlen und die nach sechs Jahren von der Unterhaltsvorschußkasse kein Geld mehr bekommen.
„Einelternfamilien geraten mit dem siebten Lebensjahr eines Kindes in eine ganz verzweifelte Situation“, meint Deuter, „da kommt alles auf einmal zusammen.“ Die Mutter hat nach der Erziehungsphase zwar eine meist mäßig bezahlte Halbtagsstelle gefunden. Doch dann wechselt das Kind vom Ganztagskindergarten in die Schule. Weil Hamburg derzeit Hortplätze einspart, sei damit eine Betreuung nur noch bis 13 Uhr gewährleistet.
Die Mutter schafft es aber mit An- und Abfahrt nicht, bis 13 Uhr zu Hause zu sein. Gleichzeitig hat sie kein Geld für eine zusätzliche Kinderbetreuung – die Sozialämter zahlen seit neuestem ab dem siebten Lebensjahr den Mehrbedarf von 107 Mark nicht mehr. Gerade diesen Kindern könnte aus einem Fonds länger Unterhalt gezahlt werden, wünscht sich Deuter.
Auch wenn durch die Rechtsänderungen alle zahlungsunwilligen Väter herangezogen werden könnten – es bleiben die vielen, die nicht zahlen können: wegen zunehmender Arbeitslosigkeit zum Beispiel oder sinkendem Realeinkommen. Der Interessensverband der alleinerziehenden Mütter und Väter fordert daher viel weitreichendere Gesetzesänderungen. Beispielsweise müsse endlich der Regelunterhaltssatz der Unterhaltsvorschußkassen erhöht werden – derzeit liegt er 150 Mark unter dem von der Bundesregierung verkündeten Existenzminimum. Das hat die Kinderkommission des Bundestags schon moniert. Doch das neue Unterhaltsgesetz hat die Kritik einfach ignoriert.
* Es ist hier der Einfachheit halber immer nur von Vätern die Rede, da sie die Mehrzahl der Unterhaltsunwilligen ausmachen. Informationsbro-schüren über das neue Unterhaltsgesetz gibt es bereits beim Verband alleinerziehender Mütter und Väter, Horner Weg 19, 20535 Hamburg, Tel.: 214496 (montags bis freitags 8 bis 12 Uhr). Künftig sind entsprechende Informationen auch bei den Jugendämtern erhältlich.
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