Launiger Mayengesang im Juni

■ Begeisternd: Das Ensemble Weser-Renaissance spielte Stücke von Ludwig Senfl

Die größten Komponisten einer Epoche: Für die Zeit nach Claudio Monteverdi fallen uns viele Namen ein. Für die Zeit davor ist das ein ungleich schwierigeres Unterfangen – im Unterschied zu den großen Meistern der Malerei, der Bildhauerei und der Baukunst. Anhand dieser Tatsache kann man sich vor allem verdeutlichen, wie groß der Stellenwert der Interpretation für die Existenz der Kunstwerke ist. Auch das Bewußtsein dafür ist weitgehend verlorengegangen. Und als dritter Grund dafür, daß wir Mühe haben, für die Zeit vor Monteverdi große Komponisten zu benennen, ist die Quellenlage zu nennen. Die Notationen sind unvollständig, d. h. die Aufführungsmöglichkeiten sind abhängig von den noch erreichbaren Quellen für die Aufführungspraxis. Außerdem existiert das damals verwendete Instrumentarium nicht mehr.

Wenn man sich diesen Hintergrund vergegenwärtigt, kann man hören, welch großer Komponist zum Beispiel Ludwig Senfl war, der 1486-1543 lebte und der größte Meister des deutschen Liedes in seinem Jahrhundert war. Und man kann es vor allem hören, wenn so eine von Grund auf kompetente und lustvoll motivierte Truppe wie das Ensemble Weser-Renaissance unter der Leitung von Manfred Cordes sich dieser durch und durch kontrapunktischen Musik annimmt. Weser-Renaissance hatte den launigen Abend, der eigentlich im akustisch interessanten Innenhof der Hochschule für Künste (HfK) hätte stattfinden sollen und wegen des schlechten Wetters in den Konzertsaal der HfK verlegt werden mußte, unter den Liedtitel „Wol kumpt der May“ gestellt.

Es war ein kurzweiliger Abend über den May, den Wein, die Liebe, die Trauer, das Leben insgesamt, ein Abend über das natürlich-gesellig-gesellschaftliche Leben des 16. Jahrhunderts, das im Volkslied seinen Niederschlag findet und von daher zum Teil noch bekannt ist.

Die sorgfältig wechselnden Besetzungen der SängerInnen (Susanne Rydén, Ralf Popken, Harry Geraerts, Jan Strömberg und Stephen Grant) mit ihren geschmackvoll szenischen Andeutungen hatten vorwärtsdrängenden Pfiff, reizten, mehr zu wissen aus einer zumindest in Bezug auf die Musik fast archäologischen Zeit. „Ach Elslein, liebes Elslein“: ein Dialoglied zwischen Mann und Frau mit dem Königskindermotiv, „“Es taget vor dem Walde“: der Geliebte weckt die Geliebte. „Es hett ein Biedermann ein Weib“: der fährt ins Heu, wie wir wissen, und es fällt auch „zuletzt mal einer unter die Bank“.

Einer der Höhepunkte des rundherum gelungenen Abends war die ausgewogene und homogene, dazu affektreiche Wiedergabe der Trauermotette „Quis dabit oculis“ auf den Tod des Kaisers Maximilian, in dessen Diensten Senfl komponierte und der ihn für den größten Komponisten hielt. Das unvergleichliche Instrumentarium – Zink, vier Posaunen, Schalmeyen, Dulziane, Pommern und Flöten – machten wieder einmal die Kehrseite des Fortschritts deutlich: bei jeder Weiterentwicklung, Verbesserung des Instrumenatariums ist auch Klanglichkeit, Farbkraft und Charakter verlorengegangen. Solostücke für die Laute, gespielt von Beate Dittmann, ergänzten das zu Recht gut angenommene Konzert, das neben den selbstverständlichen Positionen der neuen Musik, und der „normalen“ klassischen und romantischen insofern hochschul- und kulturpolitisch wichtig war, als auch in diesem Bereich eine zündende Qualität vorzuzeigen ist – nicht zum ersten Mal übrigens.

Ute Schalz-Laurenze