: Pubertäre Rauferei oder Ehekrach?
■ Thea Bauriedl, Leiterin des Instituts für Politische Psychoanalyse in München, zum neuesten Krach bei den Bündnisgrünen: Die Partei hat Angst, sich ihre Streitkultur nicht mehr leisten zu können
taz: Kaum haben sich die Grünen von dem Fünf-Mark-Debakel erholt, zerstreiten sie sich um die Bundeswehr. Sind die Grünen verrückt geworden?
Thea Bauriedl: Ich sehe das als Identitätskrise. Einerseits haben sie Angst vor schlechten Umfrageergebnissen, andererseits Angst, als ganz normale Partei angesehen zu werden. Sie schwanken zwischen Anpassung an andere Parteien und einem „Zurück zu den alten Zeiten“, wo man sich zusammen mit der revoltierenden Basis stark fühlen konnte.
Können sich die Grünen eine offene Streitkultur überhaupt noch leisten, wenn die anderen Parteien jeden Schwachpunkt ausnutzen?
Sie haben Angst, daß sie es sich nicht mehr leisten können, und das finde ich mindestens längerfristig sehr fatal. Wenn sie sich nur noch anpassen, verlieren sie ihre Identität. In beiden Flügeln der Partei ist inzwischen ein Zwang zum stromlinienförmigen Denken zu spüren: Die einen halten Bundeswehr und Nato für pfui, die anderen für notwendig. Es ist schwierig, die eine wie die andere Stromlinienform zu vermeiden. Und Trittin ist da bei seinem Auftritt in Berlin hineingeraten. Der Anpassungsdruck, den eine große Masse Menschen in solchen Situationen ausübt, weil sie ganz bestimmte Sätze hören will, ist enorm.
Trittin war unter Druck?
Ja. Möglicherweise fühlte er sich persönlich in der Partei vereinzelt, suchte den Anschluß an die Massen und wollte deswegen ein Fanal setzen: Seht her, wir sind noch links und kritisch. Damit ist er über das Ziel hinausgeschossen. Und die Realo-Fraktion ist in Gefahr zu denken, man dürfe sich jetzt keine Abweichung von der politischen Norm mehr leisten.
Früher haben die Grünen oft auch eine pubertäre Lust an öffentlichen Raufereien gehabt. Hat sich das verändert?
Ja, so erbittert, wie es da zum Teil zugeht, erinnert es eher an einen Ehekrach. Das ist ja in der Ehe manchmal so, daß man sich nur noch zu retten versucht gegen den anderen. Da fehlt dann die Vorstellung, daß man sich mit dem anderen retten kann. Diese Verbitterung und Verhärtung zu sehen kann aber schon ein erster Schritt zu einer differenzierten Wahrnehmung der eigenen Lage sein.
Joschka Fischer suggeriert, die Debatte um die Bundeswehr sei ein Maßstab dafür, ob die Grünen erwachsen werden.
Schon. Aber was ist erwachsen? Wenn die Erwachsenen den Kindern vorgeben, daß sie werden müssen wie die Eltern, dann ändert sich kein bißchen was. Die kreative Potenz von Jugendlichen, kritisch zu sein bei dem, was die Erwachsenen treiben, geht dabei verloren. Interview: Patrik Schwarz
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