■ Nachschlag: Steffen Kopetzky las aus seinem Roman „Einbruch und Wahn“
Alle hundert Meter stand ein Polizeiwagen in der warmen samstäglichen Friedrichstraße – wegen der angekündigten Demo. Trotzdem füllte sich zur Lesung mit Steffen Kopetzky der sogenannte „Berliner Salon“ des Vorzeigebuchladens Hugendubel – der aus einigen Klappstuhlreihen unter der charakteristischen Fin-de-siècle- Kunststoffdeckenoptik bestand. Sei's drum, denn immerhin umströmte ja den Autor, ein gebräunter Twentysomething in hellem Leinen, das salonfähige Fluidum des just aus der Sommerfrische Heimgekehrten. Alsdann hob er in vorzüglich abgezirkeltem Abstand zum Mikro zu Dank und Vorrede an: „Einbruch und Wahn“, sein Buch, basiere auf einem „ptolemäischen Weltbild“. Dieses Weltbild sei ein verkehrtes, gehe von falschen Grundannahmen aus – alle Phänomene ließen sich aber schlüssig daraus erklären. Der Held sei paranoid; Ptolemäus fand, die Erde sei eine Scheibe.
Der Autor las aus dem ersten Teil seines Werks (in dem sich der Held, Krampas, an der philosophischen Fakultät der Universität München „inskribiert“) musterhaft intoniert. Dabei sprach in jedem Falle für Steffen Kopetzky, daß er davon Abstand nahm, sich wie seine Kollegin Relaxa Hennig von Lange unentwegt in „diese Locken“ zu fassen. Als er abschloß, ward glaubhaft vermittelt, daß der Autor immerhin fast so gut wie der hl. Thomas Mann zu formulieren versteht –, und doch verzehrte man sich zu erfahren, in welche Ptolemäik der Text denn nun trieb.
Pause. Man könne doch erst mal was trinken, meldete sich ein Gast beherzt zu Wort, und unentschlossen bewegte sich ein Teil der Gästeschar in Richtung des freundlichst angebotenen Hugendubelschen Cidre nebst Weidenkorb mit schmackhaften Vielkornbrötchen, währenddessen Steffen Kopetzky ein wenig verloren hinter seinem Rednerpult in Leerlauf verfiel. Dem anschließenden Verhör durch die Hinterbliebenen stellte er sich indessen würdevoll, ja ergriff sogar die Gelegenheit, mit Anmut und großem Bedacht tatsächlich sehr einleuchtende Erwiderungen (hinsichtlich der Notwendigkeit einer Poetik) vorzubringen.
Der Autor las dann doch noch mal, jetzt mit entsprechendem Impetus, aus der zweiten Hälfte des Romans (es ging dabei um Neuköllner Hausmeister und Müll), dessen Zielrichtung sich langsam zu erschließen begann (des paranoiden Helden Gewaltphantasien). Um die Debauche zusätzlich szenisch zu untermalen, zündete sich der Autor beim Lesen eine Zigarette an, die dicht an seiner linken Ohrmuschel ungeraucht niederbrannte. Monie Schmalz
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