: Keine Streusüße mehr für Gauck
Die letzte Betriebsverkaufsstelle hat am Wochenende zugemacht. Vom DDR-Warenparadies blieb nur Tischfeuerwerk „Rio de Janeiro“ und ein Stück Mohnstreusel zurück ■ Von Kirsten Küppers
Der grün gekachelte Raum ist kahl. Es riecht nach Bockwurst, ein Radio dudelt. Die Regale sind weitgehend leergeräumt. Braune Socken gibt es noch, Streusüße und Tischfeuerwerk Marke „Rio de Janeiro“. In der Kühltruhe stehen sechs Dosen alkoholfreies Bier und kleine Plastikbehälter mit Erdbeerkonfitüre.
Doch nur Mitarbeitern der Gauck-Behörde und des Bundesinnenministeriums ist es vergönnt, hier in der Betriebsverkaufsstelle ihren Kartoffelsalat zu essen oder einzukaufen. Am Freitag hatte die „Einkaufsquelle Kaufmann“ in der Glinkastraße in Mitte zum letzten Mal geöffnet.
Was die letzten Jahre als Mini- Supermarkt mit Ostcharme für die Mitarbeiter der Behörden fungierte, war zu DDR-Zeiten ein kleines Warenparadies im Erdgeschoß des Ministeriums des Inneren. Für ungarische Salami, Rotwein und Nylonstrumpfhosen standen die meist grün uniformierte Kunden Schlange bis an den hinteren Kühltresen. Von „Feinfrost“ über Dresdner Stollen bis Zigaretten gab es alles, was sonst schwer zu kriegen war. Umsätze von bis zu 20.000 Ostmark waren an der Tagesordnung, erzählt die Chefin Ilona Kaufmann stolz.
Weil das Innenministerium im August an den Spreebogen umzieht, mußte die letzte ehemalige DDR-Betriebsverkaufsstelle schließen. Dabei hatte die Chefin noch im letzten Jahr eine Wand mit einer Fototapete mit Palmen verschönert. Zu DDR-Zeiten strömten täglich bis zu 3.000 Kunden in die Verkaufsstelle. Darunter seien auch viele Prominente gewesen.
Wer hier als Verkäuferin arbeiten wollte, wurde vom Ministerium überprüft und durfte keinen Kontakt zu Westverwandtschaft pflegen. Selbstverständlich habe man aber von den begehrten Köstlichkeiten auch was für sich selber abgezwackt, „wenn man schon an der Quelle sitzt“, kichert Ilona Kaufmann.
Nach der Wende, erzählt die patente Frau, ging alles drunter und drüber. Es hätte eine Weile gedauert, bis sie auf 99-Pfennig-Preise umgestiegen seien. „In der DDR gab es ja nur runde Preise.“ Es sei auch ein großer Fehler gewesen, die riesigen Mengen Tischfeuerwerk und Obstkonserven zu bestellen. Zu Ostzeiten wären sie die gut losgeworden, doch nach der Wende wollte „so was natürlich keener“. Da fast nur Mitarbeiter des Hauses hier einkaufen, lernte Ilona Kaufmann sich auch bei der Warenmenge zu beschränken. Irgendwann ist schließlich auch der letzte Angestellte der Gauck-Behörde mit einem Elektroverdunster gegen Insekten versorgt. „Wir ham ja keene Laufkundschaft.“ Mit den großen Supermarktketten konnte der Laden nie mithalten. Sie war froh, wenn bei Ladenschluß 1.000 Mark in der Kasse lagen. Dafür kannte man jeden, wußte, wer einen guten Witz erzählen konnte. „Wir sind ja auch direkt auf die Kundenwünsche eingegangen“, erzählt sie.
Egon Krüger, Angestellter der Gauck-Behörde, verirrt sich noch mal für ein letztes Täßchen Kaffee nach unten. Wenn der Laden weg ist, sagt er, „fehlt wat“. Er habe hier immer mal einen günstigen Imbiß eingenommen oder „'ne Postkarte gekooft“.
Die 47jährige Angestellte Brigitte Lippmann steht traurig hinter der Kühltheke, in der noch ein einsames Stück Mohnstreusel und ein Becher Margarine liegen. Sie wird sich jetzt erst mal bei Kantinen oder als Verkäuferin bewerben, weil „dit is meine Welt“.
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