■ Wahrheit-Reporter vor Ort: Parteitag der „Bibeltreuen Christen“ (PBC) in Pforzheim: Das grellste Buch der Welt
Nach einer durchzechten Nacht sieht man die Welt manchmal in erschütternder Klarheit. Ich lümmelte mich im Beifahrersitz, während fünfzig Pferdestärken einschläfernd brummend über die Autobahn trabten. „Wehe uns Menschen, wenn beim Jüngsten Gericht die Seele auch nur eines einzigen Pferdes im Rate der Ankläger sitzt“, ging es mir durch den Kopf, bevor sich dieser zum Schlummern auf meinen Brustkorb legte. Plötzlich schaute ich direkt in das Gesicht von Frau Professor Ingeborg Bingener, welche mich durch eine dicke Brille aus dem Grundsatzprogramm der Tierschutzpartei anstarrte.
Um das gruselige Foto möglichst schnell wieder vergessen zu können und um mich auf das bevorstehende Ereignis einzustimmen, griff ich zur Einladung der Partei der Bibeltreuen Christen (PBC). Freundschaftliche Verpflichtungen hatten mich dazu gebracht, den Sänger einer Solinger Rockband auf seiner wissenschaftlichen Forschungsreise zum Landesparteitag der PBC zu begleiten. „PBC – das hört sich an wie ein fieses Insektenvernichtungsmittel, mit dem man selbst Myriaden von Pferden dermaßen zusetzen könnte, daß sie für den Rest ihres Lebens aussehen wie Frau Bingener“, konnte ich noch murmeln, während wir am Ortsschild von Pforzheim vorbeifuhren. Einen Augenblick später gab es kein Entrinnen mehr.
Wir befanden uns im „Missionswerk Strahlen der Freude“ inmitten von Menschen, die beim ersten Tagesordnungspunkt (Gebet und Lobpreis) mit geschlossenen Augen und zuckenden Lippen, die Arme wie zum Führergruß erhoben, für die Genesung der an einem Hörsturz leidenden Ehefrau eines Vorstandsmitglieds beteten. Gerhard Heinzmann, Bundesvorsitzender der Partei, drückte sich ein Mikrofon an den grauen Zupfbart und geiferte los: „Haben wir aus der Geschichte gelernt? Auch nach 1945 ging der Mord an unschuldigen Menschen weiter. Allein 10 Millionen ungeborene Kinder wurden in Deutschland seit Kriegsende getötet. Das Potential, das uns fehlt zur Versorgung der Rentner. Jeden Tag kommen 1.000 Kinder hinzu. Hitler hatte Krematorien, heute genügen Mülltonnen.“ Dafür möchte man ihm den Bart recht weit über die Ohren ziehen, ihm mit dem Mikrofon seinen bibeltreuen Christenhintern versohlen und ihn zum Teufel jagen, der bei ihm Diabolus heißt und mit denjenigen im Bunde steht, welche die „Greuelsünde der Homosexualität“ begehen.
Heinzmann, der, wenn es den von ihm gern beschworenen strafenden Gott gäbe, längst vom Blitz gespalten und von den Seuchen der Welt befallen sein müßte, anstatt nur von galoppierender Hirnerweichung, redete sich, von seinen Anhängern durch laute Hallelujaaa- und Ameeeen-Rufe angefeuert, weiter in Rage und phantasierte, was geschähe, „wenn's uns gelingen würde, die Christen zu bündeln: Mensch, wir könnten ganz Deutschland auf den Kopf stellen!“ Bis das gelingt, begnügen sich die 3.700 Mitglieder vorerst damit, zu „fasten und (zu) beten für Deutschland“, sich auf die Bundestagswahl vorzubereiten und, wie Vorstandsmitglied Dieter Indlekofer es unter seiner Rotzbremse hervornuschelte, „als Grischten vor Ort bräsent (zu) sein“.
Auch bemüht man sich, neue fortpflanzungswillige Parteisoldaten zu rekrutieren. Einige treten gleich auf dem Parteitag bei, andere, vor allem jüngere, sollen von Carsten Efing (25 Jahre, 5 Kinder) angeworben werden. Und weil Efing vom lieben Gott zwar viele Kinder und einige Wörter geschenkt bekam, sehr viel mehr für ihn aber bis jetzt nicht vom Himmel fiel, liest sich die Homepage der „JuBis – Junge Bibeltreue Christen in der PBC“ so, wie sich Efing die Sprache junger Leute vorstellt: „Die Bibel, das grellste Buch der Welt (...) Die Weltgeschichte im megagrellen Superbreitbandformat aus himmlischer Perspektive. Bei Abraham, Joseph, Mose & Co. fliegen nicht nur die Löcher aus dem Käse, da kreisen sämtliche HipHopper, Technos und Alt-Rocker im luftleeren Raum“, den man bei Efing wohl hinter der Stirn vermuten muß. „New Age, Esoterik, Alkohol, Drogen, Hard Rock sind Uromas Weichspülmittel gegen 40 Jahre Wanderung im heißen Wüstenwind, das Donnern Gottes auf Sinai und Josuas Aufmarsch am Jordan gegen die Vorfahren Arafats.“
Auf der Rückfahrt blätterte ich zur Entspannung im Grundsatzprogramm der Naturgesetzpartei. Irgendwann mußten wir tanken, bemerkten aber erst nach etlichen durch den Schlauch geflossenen Litern, daß wir kein Geld dabeihatten. „Was ist Geld?“ rief ich dem Tankwart zu, „Geld ist kosmische Energie!“ Er schaute mich ungläubig an, winkte uns dann aber noch lange nach, als wir davonfuhren – ein Eingeweihter?
Nächstes Wochenende fahren wir zum Parteitag der Monarchiefreunde, denn „in Verantwortung vor Gott und dem deutschen Volk wollen wir nach langjähriger monarchischer Tradition wieder einen Kaiser für Deutschland“. Matthias Thieme
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