„I love USA, I love Iran“

Bei Irans triumphalem 2:1-Sieg gegen die USA dominieren auf und neben dem Rasen demonstrative Völkerfreundschaft, Multikulti und Respekt  ■ Aus Lyon Bernd Müllender

Flirrend heiß war der Tag. Drückende Schwüle nahm allen die Luft zum Atmen. Eine Stunde vor Anstoß fachte auch noch heftig der Südwind auf und Wolkengebirge, fast so schwarz wie die Tschadors iranischer Frauen, schienen das Stade de Gerland angreifen zu wollen. Was wäre das eine Symbolik, pünktlich zum Anstoß ein krachendes Gewitter...

Krieg auf dem Rasen? Showdown der Systeme bei der Explosivpartie der WM? Bis zum ersten Foul dauerte es lange 155 Sekunden. Die Ehre nahm sich dann Ali Daei mit einem harmlosen Hakler nahe der Seitenlinie. Doch dann blieb es so harmlos wie beim mittelenglischen Senioren-Crocket. Es wurde ein rasend spannendes Match größter Fairneß, ohne jede häßliche Szene. Man gab sich den Ball nach dem Motto „Hier, bitteschön, Herr Feind“, man half sich gegenseitig auf nach einem Sturz. Eine Großkundgebung der Höflichkeit, des Respekts. Die Blumengebinde der iranischen Spieler für die Konrahenten als gestenreiches Geschenk vorher, danach das orkanartig umjubelte gemischte Team-Foto der USIrAn-Doppelelf kurz vor dem Anstoß. Wer hätte das vorher gedacht. Karim Bagheri nachher: „Diesen Moment werde ich nie vergessen.“ Es war wider jede Prognose. Als hätten CIA und der iranische Geheimdienst ihre Orders gegeben. Oder, ganz banal, die Vernunft Regie geführt.

Was war das für ein Publikum! Sie feierten vorher. Sie feierten nachher. Wahrscheinlich tun sie es immer noch. Und zwar: alle. Gemeinsam. Exil-Iraner aus ganz Europa, US-Fans, befreundete Ethnien aus Nordafrika, Franzosen. Verbrüderungsfotos hier, Umarmungen dort. Ständig, überall. Beachboy-Typen mit Kaugummi- Akzent und hüpfende Iranerin im wilden gemeinschaftlichen Tanz auf den Straßen.

Schon vor dem Spiel wogen sich die geschätzt 25.000 Iranerinnen und Iraner im Stadion zu Frank Sinatras Yankee-Hymne „New York, New York“. Und die US- Supporters stiegen ein in den Takt zum Orient-Rock. Eine blonde junge Frau mit den Iran-Farben im Gesicht hatte sich auf den Rücken krakelig „I love USA, I love Iran“ gepinselt. Und alle machten Fotos: Stars and Stripes and Iran-flag. Gelungen war, was Irans Kicker Khakpour gehofft hatte: „Möge die Welt lernen, daß wir nicht nur Terroristen sind und den ganzen Tag auf Kamelen durch die Gegend reiten.“

„Scheiße, hier jibbet kein Kölsch“, tönte es nachher aus einer Kneipe. Farhad und Shariar, zwei junge Iraner aus Bonn, feierten hier und zeigten lachend auf das Marokko-Girlie, das mit ihrem Schild herumhüpfte: „Iran, 7.000 Jahre Zivilisation“. „So ist das“, sagte Shariar, „wenn es darauf ankommt, halten alle Muslime zusammen, über alle Grenzen und Ideologien hinweg.“ Und brachte mit seiner großen Iranfahne gleich ein halbes Dutzend bedröppelt dreinschauende Amerikaner zum Jubeln. „Okay, boy, let's have some beer together.“

Direkte Hilfe vom vermeintlichen Feind hatte das iranische Team ohnehin. Da ist Physiotherapeut Hossein Barati (38), der sonst in Aachen Kassenpatienten die Waden knetet: Ihn verpflichtete der Verband im Dezember, nachdem ein US-Bürger, ein ausgewanderter Perser, per Fax angefragt hatte: „Habt Ihr keinen guten Masseur in Europa? Ich zahle alles.“ Barati hatte nach dem Schlußpfiff derart ausrastend seine potentiellen Patienten besprungen, daß man meinte, er wolle sich Zusatzarbeit schaffen. Cheftrainer Jalal Talebi (53), der Grimmigguckende, lebt mit Frau und drei Söhnen als Trainer und Besitzer eines vegetarischen Restaurants seit 14 Jahren in Palo Alto, Kalifornien – mitten in der Hölle also, beim „großen Satan“ selbst. „Nur die amerikanische Staatsbürgerschaft hat keiner von uns angenommen.“

Verzückung überall, Ausgelassenheit. Nur bei einer Gruppe nicht, deren Angehörige sich merkwürdig ruhig danach auf diversen Lyoner Plätzen sammelten. Es waren die Funktionäre und Sympathisanten der Mudschaheddin-Khalq-Opposition, eine obskure Gruppierung, deren Führer Radschani kurioserweise im Irak lebt und einen noch gottesstaatlicheren Gottesstaat propagiert. Sie hatten europaweit mobilisiert, im Stadion hundertfach riesige Konterfeis ihres Chefs plakatiert und Spruchbänder gereckt: „Down with Khamenei“, „Down with Khatami“. Nachher kam es zu hitzigen Debatten mit feiernden Iranern. Es ging darum, wie die Radschani-Freunde das Freundschaftsspiel mißbraucht hatten. Aber da waren die Gewitterwolken längst schon weitergezogen.

Iran: Abedzadeh – Mohammadkhani (76. Peyravani) – Khakpour, Paschazadeh – Mahdavikia, Zarincheh (78. Saadavi), Bagheri, Estili, Minavand – Daei, Azizi (74. Mansourian)

Zuschauer: 44.000; Tore: 0:1 Estili (40.), 0:2 Mahdavikia (84.), 1:2 McBride (87.)

USA: Keller – Pope, Dooley (82. Maisonneuve), Regis – Hejduk, Ramos (58. Stewart), Moore, Reyna, Jones – Wegerle (58. Radosavljevic), McBride